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»Wann hätten uns die Kurden jemals interessiert?«

Junge Welt dokumentiert auszugsweise die Rede des Theologen Eugen Drewermann, gehalten auf der Friedensdemonstration am 13. Dezember vor dem Schloss Bellevue in Berlin, dem Amtssitz von Bundespräsident Joachim Gauck:

(...) Seit 1989 hätten wir eine wunderbare Chance gehabt und könnten sie noch heute ergreifen: Damals erklärte Gorbatschow Bush dem Älteren, nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes könnte auch die NATO sich auflösen und der gesamte Korridor vom Ural bis zum Atlantik entmilitarisiert sein. Stellen wir uns eine Welt vor, in der die ungeheuren Mittel an Wissen und an Wirtschaft, an Wohlwollen und Frieden konvertiert würden endlich in die Lösung der wirklichen Aufgaben der Menschheit, statt in den Wahnsinn, die Ostausdehnung der NATO als Friedensersatzpolitik hochzustilisieren. Der wichtigste Beitrag zur Friedenspolitik lautet: Raus aus der NATO! (...)

Herr Gauck, wir sind gegen den Krieg, weil jeder Krieg sich richtet gegen das, was Weltverantwortung bedeuten würde - und die Lüge lassen wir uns nicht beibringen, wir würden wegschauen, bloß weil wir endlich hinsehen! Oh ja, Putin bedroht den Weltfrieden. Die Rüstungsausgaben Russlands liegen bei 80 Milliarden Dollar. Das ist unglaublich viel. Aber gerade bewilligt man den USA 500 Milliarden Dollar, plus den Milliarden die nötig sind, das Ausspähprogramm der NSA weltweit zu etablieren, um die Kontrolle über die gesamte Menschheit zu erringen. Zusätzlich zu den geheimen Einsätzen der CIA so ziemlich rund um diesen Globus. Plus der Aufrüstung des Weltalls mit der NASA. Das alles verrechnet muss sich addieren zu den rund 300 Milliarden, die die NATO-Staaten aufzubringen haben. Das ist gesamt gerechnet mehr als das Zehnfache von allem, was Russland ausgibt zu seiner Verteidigung. Wer hat da Grund, sich vor wem zu fürchten?

(...) Im übrigen ist der Durchmarsch der NATO komplett. Elf Staaten wie ein Krake umklammern jetzt die Westgrenze Russlds. Die NATO steht in Georgien, will in die Ukraine, richtet ihre Stützpunkte ein in Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan, beansprucht die Lufthoheit in Mittelasien über Afghanistan. Überall da, wo die NATO nicht hingehört, steht sie heute! Sie ist kein Verteidigungsbündnis, sie ist das aggressivste Bündnis, das die Menschheit je gesehen hat!

Ich höre sagen, wir müssten aber den Kurden helfen. Also müssen wir Waffen haben, also brauchen wir 100 Leute, die sie ausbilden, um effizient mit unseren Waffen umzugehen. Wann hätten uns die Kurden jemals interessiert? Die Verteidiger in Kobani gehören zur PKK und sind deshalb eine terroristische Vereinigung. Zum ersten Mal 1925 wurden Kurden bombardiert von Briten aus der Luft, weil man am Boden Erdöl geologisch prospektiert hatte. 17 Millionen Kurden mit einer tausendjährigen Kultur warten darauf, ein Volk sein zu dürfen. Aber das dürfen sie nicht, denn es könnte die Interessen des NATO-Staates Türkei berühren. (...)

Man geht nicht in andere Länder hinein, spricht Obama in Hinblick auf die Krim und die Ukraine. Wer bitteschön seit 1965 hat es denn nötig, in Vietnam einzudringen, Irak, Somalia, Libyen und Syrien zu verwüsten, wer hat es nötig, ein zweites Mal in den Irak einzubrechen und in der Zwischenzeit mehr als eine Million Menschen durch die Embargopolitik in den Tod zu treiben? Allein das Agent Orange bei der Entlaubung des Ho-Chi-Minh-Pfades in Vietnam hat bis heute seine Folgen in Gestalt von Fehlgeburten, Krebsfällen; das abgereicherte Uran im Irak mit denselben Wirkungen; nicht einmal die Minen in Afghanistan will die Bundeswehr bekanntmachen aus sicherheitstaktischen Gründen. Aber wir sollen jetzt hundert Soldaten in den Norden des Irak schicken, damit man denen beibringt, wie man Minen entschärft - zynischer kann die Verhöhnung unserer deutschen Bevölkerung nicht ausfallen als mit solchen Statements. (...)

www.friedenswinter.de

„Wer für den Frieden ist, ist gegen Gewalt“

Stefan Mey 17.12.2014

Eugen Drewermann über die Ukraine-Krise, Pazifismus und die Diskussion um den "Friedenswinter" 

Soll man hingehen oder nicht? Der Aufruf zu den bundesweiten "Friedenswinter"-Demo, ein Zusammenschluss der klassischen linken Friedensbewegung und der Montagsmahnwachen, hatte viele ratlos gemacht. 

Die einen warnten vor einer rechten Unterwanderung einer linken Bewegung. Sie bemängelten eine wirkliche Abgrenzung nach rechts und sahen sich im Anschluss auch bestätigt. Die anderen sagten: wir alle wollen Frieden und fanden den sich auch auf der Demo bestätigt. Auch Telepolis-Autoren kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen (Pro: "Grüß Gott, Herr Gauck" und contra: Friedenscocktail aus Berlin

Der katholische Kirchenrebell und Pazifist Eugen Drewermann hatte sich von den Diskussionen im Vorfeld nicht beirren lassen. Er war einer der Hauptredner auf der Berliner Ausgabe der Friedenswinter-Demo am Wochenende. Wortgewaltig hat er eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise angemahnt, die Nato als Kriegsarmee kritisiert und vor der Kulisse des Bundespräsidialamts den Theologen Gauck als Kriegstreiber gegeißelt.

Auszug aus einem Interview:

„Wie sehen Sie die Rolle des Theologen-Kollegen und Realpolitikers Gauck?

Eugen Drewermann: Mir wird speiübel, wenn ein Ex-Pastor davon redet, dass wir eine größere Verantwortung wahrnehmen müssen, dass ihm nichts Besseres einfällt als zu sagen, die Deutschen seien nur noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass im Krieg auch Menschen sterben könnten. Wovon redet dieser Mann?

Wie glauben Sie, dass Gauck sein Handeln und Reden mit seinem theologischen Weltbild vereinbart?

Eugen Drewermann: Ich glaube, dass er Rechtfertigungsmuster hat, die ihn ruhig schlafen lassen. Seit dem Soziologen Max Weber gibt es die Vorstellung der geradezu schizophrenen Zweiteilung in eine Verantwortungs- und eine Gesinnungsethik. Der Pazifismus sei als Gesinnung für den Einzelnen natürlich eine schöne Haltung, aber für die Politik doch unverantwortlich. Und deshalb bedeute Verantwortung für Deutschland in der Welt die Bereitschaft, notfalls auch Kriege zu führen. Darauf, denke ich, wird sich Herr Gauck zurückziehen.

Ich halte diese Konstruktion für katastrophal. Wenn wir Gesinnung ständig so definieren, dass wir sie uns in der Realpolitik nicht leisten können, machen wir lauter Dinge, die unverantwortlich sind.“

Das komplette Interview bei Telepolis