Kein kollektives Verteidigungsrecht
Zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Syrien
Eine verfassungs- und völkerrechtliche Analyse
Norman Paech, Professor für Verfassungs- und Völkerrecht i. R.
In der Abstimmung des Bundestags vom 4. Dezember über einen Kriegseinsatz in Syrien unter Beteiligung der Bundeswehr votierte die Fraktion der Partei Die Linke als einzige geschlossen gegen diese Militärmaßnahme. Letztendlich entschied sich die große Mehrheit der Bundesparlamentarier für den mörderischen Einsatz. Die Linksfraktion plädiert weiterhin für eine Lösung des Konflikts mit nichtmilitärischen Mitteln. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gehrcke traf sich am 9. Dezember mit dem UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, um die Rolle der BRD für eine diplomatische Lösung zu beleuchten. Außerdem gewann die Linkspartei den Juristen Norman Paech aus Hamburg für eine Analyse der völkerrechtlichen Grundlagen der bundesdeutschen Beteiligung am Syrien-Krieg. Sein Papier wird heute im Bürogebäude des Parlaments, im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin von Gehrcke vorgestellt. jW verzichtet bei der Dokumentation des Textes auf die Fußnoten. (jW)
Die Bundesregierung begründet ihren Antrag »Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS« vom 30. November 2015 mit dem Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta und der EU-Beistandsklausel gemäß Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015) des UN-Sicherheitsrats.
1. Die Bundesregierung beruft sich zunächst auf die Beistandspflicht, die der französische Präsident François Hollande gemäß Artikel 42, Absatz 7 von den EU-Mitgliedsstaaten eingefordert hat und die ihm am 17. November 2015 auch einstimmig zugesichert worden ist. Dieser Beistand verpflichtet die Staaten jedoch nicht zu einem bestimmten Handeln, geschweige denn zu einer Unterstützung mit militärischen Mitteln. Jeder Staat ist souverän in der Wahl seiner Mittel. Wenn jedoch die Bundesregierung sich zu einem militärischen Einsatz entschieden hat, benötigt sie eine völkerrechtliche Legitimation, die sie in dem Selbstverteidigungsrecht des Artikels 51 der UN-Charta sieht.
Sie verweist dazu auf die militärischen Einsätze mehrerer Staaten (USA, Australien, Großbritannien, Frankreich), die bereits seit September 2014 dem »Irak – auf dessen Ersuchen – in Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung im Sinne von Artikel 51 der Charta der Vereinen Nationen militärischen Beistand leisten«. Die USA haben in der Tat bereits am 23. September 2014 dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ihr militärisches Eingreifen unter Berufung auf legitime Selbstverteidigung angezeigt. Um auch den Einsatz von Militär in Syrien zu begründen, schreibt die Bundesregierung: »In diesem Zusammenhang werden auch militärische Maßnahmen auf syrischem Gebiet durchgeführt, da die syrische Regierung nicht in der Lage und/oder nicht willens ist, die von ihrem Territorium ausgehenden Angriffe durch den IS zu unterbinden.« Offensichtlich nimmt die Bundesregierung ein kollektives Verteidigungsrecht sowohl zugunsten Syriens als auch Frankreichs in Anspruch. Ein individuelles Selbstverteidigungsrecht, wie es in Kreisen der Koalition und z. B. von den USA und Frankreich wegen direkter Bedrohung durch den IS in Anspruch genommen wird, nimmt die Bundesregierung derzeit nicht wahr.
2. Wie man die Sache auch dreht und wendet, die ganze Konstruktion des Rechts auf Selbstverteidigung steht auf sehr wackeligen Füßen. Soweit sich die Staaten auf die Zustimmung der irakischen Regierung für ihr militärisches Eingreifen im Irak berufen können, ist dagegen nichts einzuwenden. Das gilt aber nicht für die Bombardierungen in Syrien, wofür nur Russland die Erlaubnis der syrischen Regierung hat. Die Berufung auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung zugunsten eines Staates ist jedoch ohne Zustimmung des angegriffenen Staates nicht möglich.
Die USA berufen sich auf die Zustimmung der irakischen Regierung und argumentieren, dass eine Intervention in Syrien notwendig sei, da nur dadurch die Gefahr für Irak und die Angriffe auf irakisches Territorium abgewehrt werden können. Es ist durchaus völkerrechtlich anerkannt, dass zur Verteidigung der Grenzen diese auch in den Nachbarstaat, aus dem die Gefahr kommt, hinein überschritten werden können. Dies aber nur in sehr begrenztem Umfang. Die Operationen der USA und ihrer Verbündeten bis weit in den Westen Syriens sind dadurch nicht legitimiert.
3. Verschiedentlich, und insbesondere in den USA, wird die Ansicht vertreten, dass die Zustimmung eines Staates zu militärischen Maßnahmen gegen terroristische Aktivitäten dann nicht notwendig sei, wenn er nicht willens oder nicht in der Lage ist, diese zu bekämpfen und die Übergriffe in die Nachbarstaaten zu verhindern. Auf diese Argumentation stützt sich die Bundesregierung auch. Abgesehen davon, dass diese Position völkerrechtlich äußerst umstritten ist, da sie die Souveränität der Staaten aushöhlt, und noch nicht als eine gesicherte Doktrin gelten kann, liegen auch die tatsächlichen Voraussetzungen nicht vor. Nicht Syrien ist unwillig, den IS zu bekämpfen, sondern die USA und mit ihnen die Verbündeten weigern sich, mit Präsident Baschar Al-Assad überhaupt über die Bekämpfung des Terrors zu sprechen. Die syrische Regierung hingegen hat Russland ihre Zustimmung zum gemeinsamen Kampf gegen IS gegeben und damit eindeutig ihren Willen zur Abwehr bekundet. Dass sie bisher nicht in der Lage war, den IS zu besiegen, ist kaum eine Kritik, die Syrien alleine trifft, sondern richtet sich an alle Staaten, die den Kampf gegen den IS aufgenommen haben. Man kann auch nicht davon ausgehen, wie es mitunter jedoch getan wird, dass die Bombardierung von IS-Stellungen im Interesse Syriens liege und man deshalb von einer stillschweigenden Zustimmung ausgehen könne. Die USA haben ausreichend öffentlich und wiederholt verkündet, das Regime Assad beseitigen zu wollen, so dass sie sich nun kaum auf eine stillschweigende Zustimmung dieser Regierung berufen können, Bombardierungen im ganzen Land ohne Abstimmung mit Damaskus vornehmen zu können. Die Berufung auf ein kollektives Selbstverteidigungsrecht zugunsten Syriens ist daher nicht möglich und scheidet auch für den deutschen Einsatz aus.
4. Aber auch gegen die Berufung auf ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung zugunsten Frankreichs existieren schwere Bedenken undkann nicht anerkannt werden. Klassischerweise findet das Verteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta nur zwischen Staaten statt. Selbst wenn der Wortlaut des Artikels 51 das nicht ausdrücklich sagt, so ergibt sich das jedoch aus seiner Entstehungsgeschichte in der unmittelbaren Nachfolge des verheerendsten Staatenkrieges des 20. Jahrhunderts und seinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gewaltverbot des Artikels 2, Ziffer 4 der UN-Charta, welches sich gegen jegliche zwischenstaatliche Gewalt in einer zukünftigen Friedensordnung richtet. Unterstrichen wird diese Beschränkung durch die sogenannte Aggressionsdefinition, mit der die UN-Generalversammlung im Jahr 1974 den Angriffskrieg als staatliche Gewaltanwendung definierte.
Folgt man der französischen Regierung – bisher ist das von ihr Geäußerte allerdings nur eine Behauptung –, so wurden die Anschläge in Paris vom 13. November, obwohl von französischen und belgischen Staatsangehörigen ausgeführt, von Syrien aus geplant. Sie seien also dem IS zuzurechnen. Selbst wenn Präsident Hollande von einem Krieg zwischen Frankreich und dem IS spricht – ein Begriff, den es im Völkerrecht nicht gibt, der umgangssprachlich jedoch militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten bezeichnet – ist klar, dass es sich beim IS nicht um einen Staat handelt. Bisher verfügt er weder über ein definiertes Territorium noch über ein Staatsvolk, und eine handlungsfähige Regierung, die den Staat wirksam nach außen hin repräsentieren könnte, ist trotz des eigenen Anspruchs nicht vorhanden. Unterstellt man, dass die Attentate definitiv dem IS zuzurechnen sind, so ist der IS dennoch kein Angreifer im völkerrechtlichen Sinn des Artikels 51 der UN-Charta.
Dieses Problem stellte sich den USA und dem UN-Sicherheitsrat bereits im September 2001 nach dem Terroranschlag in New York durch Mitglieder von Al-Qaida. Man half sich mit einer Theorie vom »sicheren Hafen«, die es ermöglichte, die Anschläge der Terrororganisation direkt dem afghanischen Staat zuzurechnen, der damit zum Angriffsobjekt der Selbstverteidigung nach Artikel 51 wurde. Nach damals herrschender Ansicht war die afghanische Regierung eng mit den Taliban verwoben und habe dadurch Al-Qaida ein sicheres Operations- und Rückzugsgebiet geboten, von dem aus die Organisation Anschläge weltweit habe planen und durchführen können. Damit hatte man eine direkte Verbindung zwischen dem afghanischen Staat und den Terroranschlägen in New York hergestellt und konnte afghanisches Territorium als Ziel für die eigenen militärischen Aktionen im Rahmen des Artikels 51 der UN-Charta bestimmen.
5. Schon diese damalige Konstruktion war juristisch problematisch. Und sie kann nicht auf Syrien und den IS übertragen werden. Denn Syrien kann in keiner Hinsicht als »sicherer Hafen«, den die Regierung der Terrororganisation eingerichtet hätte, angesehen werden. Deshalb werden Überlegungen angestellt, die Zurechnung zu einem Staat zu lockern. Terroraktivitäten nicht-staatlicher Organisationen oder Einzelner sollen auch dann als bewaffnete Angriffe des Staates wie in der Intention des Artikels 51 der UN-Charta gelten, wenn diese keine schützende Verbindung mit dem oder Duldung durch den Staat aufweisen. Es sei notwendig, den Verteidigungsbegriff auch auf die Abwehr von Angriffen nichtstaatlicher Täter zu erweitern, da die Bedrohung durch Anschläge transnationaler Terrororganisationen 1945 noch nicht so bekannt gewesen sei, jetzt aber eine Regelung durch das Völkerrecht herausfordere. Die Gewalt und Zerstörungskraft des Terrors habe nach 9/11 ein derartiges Ausmaß angenommen, dass er zwischenstaatlichen militärischen Auseinandersetzungen durchaus vergleichbar sei. Akte des Terrorismus würden genauso eine »Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit« gemäß Artikel 39 der UN-Charta darstellen wie »bewaffnete Angriffe« durch Staaten. Seit den Resolutionen 1368 und 1373 zu 9/11 habe der Sicherheitsrat bis in die jüngsten Resolutionen 2170, 2199 und 2249 aus den Jahren 2014 und 2015 immer wieder Terrororganisationen als »ernsteste Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit« bezeichnet.
Gegen diese Erweiterung des Verteidigungskonzepts der UN-Charta lassen sich jedoch erhebliche Bedenken einwenden. Die Einstufungen als Bedrohung sind alle nur in den akklamativen und unverbindlichen Präambeln der Resolutionen enthalten, in denen auch regelmäßig die Garantie der Souveränität und territorialen Integrität des angegriffenen Landes auftaucht. Im operativen Teil, der nach Artikel 25 der UN-Charta für alle Mitgliedsstaaten verbindlich ist, findet sich keine derartige Referenz auf Artikel 39 der UN-Charta. Dort, im operativ verbindlichen Teil, in dem die konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgezählt werden, finden wir in keiner der Resolutionen die Forderung nach militärischen Maßnahmen in Sachen Artikel 42 der UN-Charta, sondern lediglich ökonomische, politische und polizeilichen Maßnahmen nach Artikel 41 der UN-Charta. Das spricht dafür, dass der Sicherheitsrat die Terroristen als Straftäter einstuft, die mit polizeilichen und gerichtlichen Mitteln und nicht mit militärischen verfolgt werden sollen. Die Erweiterung der Verteidigungsermächtigung auf Staaten, die den Terroristen in ihrem Land weder Schutz noch einen »sicheren Hafen« bieten, sie sogar bekämpfen, käme auch in Konflikt mit der Souveränität dieser Staaten. Die Verteidigungsmaßnahmen gemäß Artikel 51 richten sich gegen den direkten Angreifer, dürfen sich aber nicht gegen einen Staat richten, dem die Anschläge nicht zugerechnet werden können. Das hat auch der Internationale Gerichtshof in seinen Entscheidungen zur israelischen Mauer und zum Kongo bestätigt: »Artikel 51 der UN-Charta erkennt das Recht auf natürliche und legitime Verteidigung im Fall der bewaffneten Aggression durch einen Staat gegen einen andern Staat an.« 1986 hatte der IGH in seiner Nicaragua-Entscheidung eindeutig formuliert, dass sich ein Staat das Handeln nichtstaatlicher Akteure nur dann zurechnen lassen muss, wenn er über diese eine »effektive Kontrolle« ausübe. Würden militärische Verteidigungsmaßnahmen gegen einen Staat zugelassen, dem die Terroranschläge nicht zugerechnet werden können, so würde das nicht nur faktisch die Aufhebung des Schutzes der territorialen Integrität (Artikel 2. Ziffer 7 der UN-Charta), sondern auch des Gewaltverbots (Artikel 2 Ziffer 4 der UN-Charta) bedeuten.
6. Lassen sich die Pariser Anschläge also nicht dem syrischen Staat zurechnen, so besteht für Frankreich nach der bis jetzt immer noch gültigen Völkerrechtslehre kein Recht auf Verteidigung mit militärischen Mitteln gegen Syrien und für die Bundesrepublik keines auf kollektiver Selbstverteidigung. Präsident Hollande hätte insofern den Beistand der EU-Mitgliedsstaaten nicht nach Artikel 42 des EU-Vertrags, sondern nach dessen Artikel 222 einfordern sollen, der im Falle eines terroristischen Anschlags die Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Mittel vorsieht, um den Staat »innerhalb seines Hoheitsgebietes zu unterstützen«.
Dem widerspricht auch nicht die Stellungnahme des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon vom 23. September 2014. Darin betont er, dass alle Maßnahmen in Syrien im Einklang mit der UN-Charta und dem Völkerrecht erfolgen müssen und darauf hinwies, dass die Bombardierung der USA in Gebieten stattfindet, die nicht mehr unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehen, und dass die extremistischen Gruppen eine »gegenwärtige Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit« darstellen. Das könnte dahin interpretiert werden, dass der UN-Generalsekretär die Bombardierungen für völkerrechtsmäßig hält. Eine vorherige Benachrichtigung über einen Militärschlag ersetzt jedoch nicht die Zustimmung dazu. Auf jeden Fall reicht ein solches Schreiben nicht aus, die Fortentwicklung des Völkerrechts in einem so sensiblen und umstrittenen Bereich, wie dem der Ausweitung des Verteidigungsrechts, zu beweisen. Eine solche Fortentwicklung lässt sich nur mit einer breiten übereinstimmenden Staatenpraxis und der Zustimmung der internationalen Staatengemeinschaft feststellen, die derzeit jedoch noch nicht vorhanden ist.
7. Die Bundesregierung stützt den Einsatz des Militärs ferner auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015). Allen drei Resolutionen ist die Feststellung gemeinsam – worauf der Bundesminister des Auswärtigen und die Bundesministerin der Verteidigung in ihrem Schreiben vom 30. November 2015 besonders hinweisen –, dass von der Terrororganisation IS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht. In den Worten der Bundesregierung: Die Anschläge von Paris »sind ein Angriff auf Europa insgesamt, unsere Lebensart, unsere Kultur, unsere Werte. Die Anschläge, die Absage des Fußballspiels von Hannover, die Bilder aus Brüssel zeigen: Die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist in der Mitte Europas angekommen. Europa muss gegen diese Bedrohung zusammenstehen.« Die Bundesregierung will damit nicht ein eigenes individuelles Verteidigungsrecht in Anspruch nehmen, sondern nur die Unterstützung für Frankreich als »Beistand unter Freunden« betonen. Allen Resolutionen ist ebenfalls gemeinsam, dass sie zwar unter Berufung auf das Kapitel VII der UN-Charta ergangen sind, aber kein Mandat für militärische Zwangsmaßnahmen gemäß Artikel 42 der UN-Charta enthalten. Darin zu finden sind Maßnahmen zur Kontrolle und Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus, wie Einfrieren von Vermögenswerten, Waffenembargo, die Listung von Terroristen etc. Resolution 2249 verlangt ausdrücklich, dass diejenigen, die für Terrorakte, die Verletzung des humanitären Völkerrechts oder die Verletzung und den Missbrauch von Menschenrechten verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das sind alles Maßnahmen im Rahmen des Artikels 41, nirgends werden militärische Maßnahmen nach Artikel 42 zur Verteidigung erwähnt.
8. Die Bundesregierung stützt sich allerdings auf den Wortlaut der Resolution 2249, in dem sie eine Ermächtigung für die Anwendung militärischer Gewalt zur kollektiven Selbstverteidigung zugunsten Frankreichs sieht. Resolution 2249 fordert in ihrem Absatz 5 alle Mitgliedsstaaten, die die Mittel dazu haben, auf, »unter Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen sowie der internationalen Menschenrechtsnormen (…), alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen«, um auf dem Territorium, welches sich in Syrien und Irak unter der Kontrolle von ISIL befindet, »ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden, die insbesondere von ISIL, auch bekannt als Daesch, sowie von der Al-Nusra-Front (…) begangen werden, (…) und den sicheren Zufluchtsort zu beseitigen, den sie in erheblichen Teilen Iraks und Syriens geschaffen haben (…).« Dieses ist jedoch gerade dem Wortlaut nach keine Ermächtigung, militärische Mittel einzusetzen, da sie nirgends erwähnt werden. Auch diese Resolution beschränkt sich auf Maßnahmen, den Zustrom ausländischer Terroristen nach Irak und Syrien zu stoppen, die Finanzströme zu unterbinden und die vorangegangenen Resolutionen umzusetzen. Wie erwähnt, enthalten auch die Resolutionen 2170 (2014) und 2199 (2015) keine militärischen, sondern nur politische, ökonomische und polizeiliche Maßnahmen. Sie sind geradezu der Beweis, dass – entgegen der Annahme der Bundesregierung – die Unterstützung Frankreichs in seinem Kampf gegen den Terror im eigenen Land nur mit den Mitteln der zivilen Kräfte von Polizei, Finanz- und Grenzkontrollen etc. erfolgen darf. Die drei Resolutionen fordern und unterstützen zwar den Kampf und die Verteidigung gegen den IS, geben aber kein Mandat zum Einsatz von Militär. Frankreich bleibt nach Lage des Rechts, will es dieses nicht brechen, nur die Alternative übrig, die Anschläge in Paris mit den Mitteln der Polizei und der nationalen Strafverfolgung zu bekämpfen.
9. Ein Mandat für militärisches Eingreifen hat derzeit offensichtlich nur Russland durch die Aufforderung und Zustimmung der Regierung in Damaskus. Die vereinzelt geäußerte Meinung, dass diese zwar noch legal und von der UNO anerkannt, aber nicht mehr legitim sei, und deswegen Russland sich nicht auf die Zustimmung berufen könne, ist abwegig. Im Völkerrecht kommt es allein auf die Legalität einer Regierung an, die sich in ihrer faktischen Stellung im Staat als gewählte und amtierende Regierung manifestiert.
10. Die Bundesregierung sieht die Entsendung ihrer bewaffneten Streitkräfte verfassungsrechtlich »im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Artikel 24, Absatz 2 des Grundgesetzes«. Selbst wenn man die Auffassung akzeptiert, dass nicht nur die UNO und die NATO, sondern auch die EU ein »System gegenseitiger kollektiver Sicherheit« ist, so kann sie sich jedoch nicht auf kollektive Selbstverteidigung berufen. Der Rahmen – die EU – mag stimmen, die Regeln – die kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta – aber nicht. Auch eine Berufung auf Artikel 87 a, Absatz 2 des Grundgesetzes für die Entsendung der Streitkräfte scheitert, da es sich völkerrechtlich und damit auch verfassungsrechtlich nicht um Verteidigung handelt.
11. Die Bundesregierung beruft sich zwar auf Artikel 51 der UN-Charta, möchte aber den Begriff »Krieg« vermeiden. Das Völkerrecht kennt diesen nicht. Es unterscheidet zwischen einem internationalen Konflikt zwischen Staaten, sprich Krieg, und einem nichtinternationalen Konflikt, der von der UNO als Bürgerkrieg bezeichnet wird. Die Bundesregierung möchte ihren Einsatz der Streitkräfte an der Seite der USA, Frankreichs und jetzt auch Großbritanniens lediglich als eine Intervention zugunsten Frankreichs, d. h. allenfalls als Beteiligung an einem Bürgerkrieg verstanden wissen. Dies entspricht jedoch schon lange nicht mehr der Realität. Nicht nur, dass der IS bereits in zwei Staaten, Irak und Syrien, operiert, auf der Gegenseite haben inzwischen 15 Staaten (neun verbündete NATO-Staaten: USA, Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Belgien, die Niederlande, Türkei, Kanada und Australien; sechs Nicht-NATO-Verbündete der USA: Israel, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Bahrein, und schließlich ist da jetzt auch eigenständig Russland) in die Kämpfe eingegriffen und den Konflikt internationalisiert. Dies ist schon lange kein interner Konflikt mit internationaler Beteiligung mehr, sondern ein internationaler Konflikt, in den die Bundesrepublik jetzt eingreifen will, ein Krieg, mit allen Geboten und Verboten des humanitären Völkerrechts.
Zusammenfassung
Die von der Bundesregierung in Anspruch genommene rechtliche Begründung für die Entsendung deutscher Streitkräfte nach Syrien ist unhaltbar. Es besteht kein Recht auf kollektive Selbstverteidigung, weder gemäß Artikel 51 der UN-Charta noch auf Grund der Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015).
Ein kollektives Selbstverteidigungsrecht zugunsten Syriens besteht nicht, weil die syrische Regierung nicht zugestimmt hat, ihr auch nicht vorgeworfen werden kann, sie sei unwillig oder unfähig, sich zu verteidigen, wenn man sich weigert, mit ihr zu sprechen und sie sogar beseitigen will. Zudem hat Russland die Zustimmung und damit die völkerrechtliche Legitimation für seine militärischen Verteidigungsmaßnahmen von der syrischen Regierung erhalten.
Es besteht auch kein kollektives Verteidigungsrecht zugunsten Frankreichs, denn die Terroranschläge in Paris können nicht dem syrischen Staat zugerechnet werden. Syrien hat dem IS nicht, wie seinerzeit Afghanistan für Al-Qaida, ein Rückzugsgebiet bzw. einen »sicheren Hafen« geboten und hat auch keine Kontrolle über den IS. Das Völkerrecht besteht nach wie vor darauf, dass ein Staat nur dann angegriffen werden kann, wenn ihm die Terroranschläge, die von seinem Territorium ausgehen, zugerechnet werden können. Dies ist ein Gebot der Souveränität und territorialen Integrität sowie des zwingenden Gewaltverbots, das nur mit der Zustimmung Syriens aufgehoben werden können.
Frankreich verbleiben alle Möglichkeiten der Verfolgung der Attentäter mit den nationalen Mitteln der Polizei, Grenzkontrollen, Strafverfolgung etc. sowie der Einforderung von Beistand und Unterstützung durch die EU-Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 222 des EU-Vertrags. In diesem Rahmen kann auch die Bundesrepublik tätig werden.
Auch die Resolution 2249 des UN-Sicherheitsrats ermächtigt die Bundesregierung nicht zum Einsatz deutscher Streitkräfte in Syrien. Die Resolution beruft sich zwar auf Kapitel VII der UN-Charta, belässt es aber bei Maßnahmen ziviler Art gemäß Artikel 41 der UN-Charta zur Bekämpfung des IS und gibt kein Mandat für militärische Maßnahmen gemäß Artikel 42 der UN-Charta.
Da die Bundesregierung weder ein Recht aus Artikel 51 der UN-Charta noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats zur kollektiven Selbstverteidigung hat, sind auch die beiden möglichen verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Entsendung der Bundeswehr nach Syrien, Artikel 24, Absatz 2 und Artikel 87 a, Absatz 2 des Grundgesetzes, hinfällig. Die Entsendung der Bundeswehr wäre ein schwerer Verstoß gegen geltendes Völker- und Verfassungsrecht.
Die militärischen Kämpfe gegen den IS sind in völkerrechtlicher Terminologie ein internationaler Konflikt. Er erstreckt sich über zwei Staaten, Irak und Syrien, an ihm nehmen derzeit 15 Länder teil. Es handelt sich um einen Krieg, der schon lange die nationalen Dimensionen eines nichtinternationalen Konflikts (Bürgerkrieg) gesprengt hat, und der auch als Krieg bezeichnet werden muss.
via Junge Welt