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Europas stiller Staatsstreich

Es bleiben nur noch ein paar Tage. Bis Ende Juni muss sich Athen mit seinen Gläubigern geeinigt haben, sonst drohen Staatsbankrott und Euroaustritt. Neben dem Ringen um eine tragbare Lösung tobt auch ein ideologischer Krieg. Wird es der von dem Linksbündnis Syriza dominierten Regierung gelingen, dem konservativ dominierten Europa einen Teil ihrer sozialen Agenda aufzuzwingen? Oder wird Premierminister Alexis Tsipras sich von seinen Wahlversprechen verabschieden müssen und seinen Wählern seine Niederlage eingestehen? ARTE Journal sprach darüber mit dem griechischen Schriftsteller und Journalisten Stelios Kouloglou, der für Syriza im Europaparlament sitzt.

 ARTE Journal: Welche Strategie verfolgt Alexis Tsipras?

Stelios Kouloglou: Die Strategie ist und war es, eine Einigung mit den Gläubigern zu erzielen. Eine Einigung, die die europäischen Spielregeln respektiert, aber die es uns auch möglich macht, die Politik unserer Vorgängerregierung zu korrigieren, die in allen Bereichen der Gesellschaft katastrophale Auswirkungen hat. Bei Beobachtern der Verhandlungen ist der Eindruck entstanden, Alexis Tsipras würde immer kurz vor dem Durchbruch ein paar unerfüllbare Forderungen hinterherschieben und so eine Einigung verhindern. 

Ich denke, dass dieser Eindruck falsch ist und eher das Gegenteil zutrifft. Denn gerade  Alexis Tsipras hält sich an die Vereinbarungen und die verschiedenen Fortschritte in den Verhandlungen, sei es auf politischer oder technokratischer Ebene. So hat er sich vor ungefähr zwei Wochen mit Angela Merkel und François Hollande auf ein vorläufiges Verhandlungsergebnis geeinigt, eine Annäherung, die von heute aus betrachtet wie eine Falle wirkt. Denn vor wenigen Tagen unterbreitete dann Jean-Claude Junker dem griechischen Verhandlungsteam einen vollkommen anders ausgerichteten Einigungsvorschlag. Mit Forderungen, die für Griechenland einfach inakzeptabel sind, wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Elektrizität von 11 auf 23 Prozent. Das würde natürlich höhere Strompreise nach sich ziehen, in einem Land, wo schon heute 300.000 Haushalte ohne Elektrizität auskommen müssen. Außerdem verlangt dieses von Junker vorgelegte Papier weitere Rentenkürzungen, obwohl die griechischen Renten seit Ausbruch der Krise und dem Beginn des Spardiktats schon drei oder viermal gekürzt worden sind.

Alexis Tsipras und das griechische Verhandlungsteam sind am letzten Wochenende mit einem Gegenvorschlag nach Brüssel gereist. Unser Vorschlag kommt am Ende auf genau die gleichen Ziffern und Zahlen wie Junkers Vorschlag, also einem finanziellen Ergebnis, das den Forderungen der Gläubiger Rechnung trägt. Aber unsere Gegenüber wollen davon nichts wissen! Unsere Verhandlungspartner wollen die aktuelle griechische Regierung zu Maßnahmen zwingen, von denen ein klares politisches Signal ausgeht, also Rentenkürzung oder Strompreiserhöhungen. Es gibt auch noch andere Forderungen, die zwar nichts mit dem griechischen Staatsbudget zu tun haben, uns aber politisch in die Knie zwingen wollen. Etwa ein neues Gesetz zur Erleichterung von Massenentlassungen, das wir verabschieden sollen. Ein neues Regelwerk, das so in Deutschland unzulässig wäre. Bisher müssen Unternehmen in Griechenland bei Entlassungen klaren Regeln folgen, die zum Beispiel vorschreiben, wieviel Prozent der Beschäftigten maximal entlassen werden darf. Wir haben diese Regeln seit dem Beginn der Krise schon an einigen Stellen aufgeweicht, aber nun verlangt man von uns, Entlassungen sozusagen unbeschränkt zuzulassen. Das entspricht in keiner Weise unserem Standpunkt.

Es sind keine ökonomischen Forderungen, die man uns da stellt, sondern politische. Das Ziel dieser politischen Agenda ist es, die aktuelle griechische Regierung in den Augen ihrer Wähler zu diskreditieren. Man will die Regierung von Alexis Tsipras zwingen, ihre Wahlversprechen über Bord zu werfen. Alexis Tsipras ist schon viele Kompromisse eingegangen, er hat Konzessionen gemacht und akzeptiert, gewisse Wahlversprechen auf Eis zu legen. Aber alles hat seine Grenzen. Wir können nicht einfach alles akzeptieren, vor allem nicht, die humanitäre Krise im Land zu verschlimmern. Wie ich es in einem Artikel in "Le Monde diplomatique" in diesem Monat auch schreibe, handelt es sich hier um einen stillen Staatsstreich.

"Der Ball ist im griechischen Lager" heißt es heute aus Berlin, auch François Hollande mahnte, bei seinem Besuch auf der Aeronautik Messe Le Bourget, zur Eile. Was ist der nächste Zug?

Stelios Kouloglou: Der Ball ist im Lager der Gläubiger, nicht in Tsipras Lager. Aber es wird hier vor allem das "blame game" gespielt - es wird versucht, einen Schuldigen für einen eventuellen griechischen Staatsbankrott und dem damit einhergehenden Gesichtsverlust der gesamten Euro Zone zu designieren. Dieses "blame game" wird jetzt schon seit einigen Monaten gespielt, aber das hat das Tsipras-Team erst sehr spät erkannt. Die griechische Regierung hat ganz naiv verhandelt, Kompromisse gesucht, in unzähligen Sitzungen chiffrierte Lösungsansätze erarbeitet, während unsere Gegenüber vor allem am Sturz dieser linken Regierung gearbeitet haben.

Wird es ihrer Meinung nach auf einen "Grexit" hinauslaufen, also dem Euro-Ausstieg Griechenlands?

Stelios Kouloglou: Unsere Regierung hat es wiederholt unterstrichen: Sollte die Wahl lauten, entweder die Renten zu zahlen oder die Gläubiger zufriedenzustellen, dann werden wir uns für die Renten und die Beamtengehälter entscheiden. Wenn die Geldgeber weiterhin darauf bestehen, der griechischen Regierung die Luft abzudrehen und sie zu einem Politikwechsel zu zwingen, dann halte ich einen Staatsbankrott und einen "Grexit" für möglich.

Zielt die griechische Strategie nicht eher darauf ab, zu zeigen, dass unser aktuelles System in Europa nicht in der Lage ist, die geeigneten Antworten auf die sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts zu finden. Und wäre dann nicht ein Scheitern der Verhandlungen die konsequente Folge? 

Stelios Kouloglou: Nein, wir verfolgen keine Selbstmord-Strategie. Unser Ziel ist ist es, dass diese griechische Regierung trotz des europäischen Würgegriffs und trotz des Drucks, dem wir ausgesetzt sind, überlebt. Und wenn es der Regierung von Alexis Tsipras gelingt, zu überleben, wenn sie zeigt, dass eine andere Politik möglich ist, dann wird das ein Sieg für Griechenland und ein Sieg für die anderen europäischen Staaten sein.

Zum Artikel

Offener Brief der Jusos Bayern an Sigmar Gabriel

Lieber Sigmar, 

in der Tat: Es reicht! 

Es reicht ganz Europa der deutsche Chauvinismus und die süffisante Überheblichkeit, mit der du und andere VertreterInnen der deutschen Regierung gegenüber Griechenland und anderen krisengebeutelten Staaten auftreten! Es reicht den Menschen in Griechenland die aufgezwungene Sparpolitik der Troika, die jede eigenständige wirtschaftliche Entwicklung verhindert! Es reicht jedem Menschen mit einem Fünkchen internationaler Solidarität im Herzen die ewig gleiche Nummer, bei der die RentnerInnen in Deutschland gegen die RentnerInnen in Griechenland ausgespielt werden, während fröhlich die finanziellen Interessen deutscher Banken in der „Schuldenkrise“ gerettet werden.

Und es reicht uns Jusos dein blanker Populismus, mit dem du dich vor den Karren der Griechenlandhetze aus dem Haus Springer spannen lässt. Wir erwarten mehr von einem Vorsitzenden der SPD, als unreflektiert Stammtischparolen zu wiederholen und im trübbraunen Wasser zu fischen. Wir erwarten von dir als sozialdemokratischem Wirtschaftsminister, dass du Menschen Ängste vor der Krise nimmst und rechtspopulistische Kurzschlüsse enttarnst, anstatt mit ihnen zu spielen. Und wir erwarten, dass du auch die eigene Krisenpolitik kritisch hinterfragst, anstatt einfach die Schuld auf die neue griechische Regierung zu schieben.

Quelle: Jusos Bayern

Dazu passend:

Das griechische Renteneintrittsalter liegt nicht bei 56 Jahren

Noch einmal: Die Quelle für die Zahl ist bekannt. 

Aus ihr geht eindeutig hervor, dass sie nicht so zu interpretieren ist, wie es FAZ, „Bild“ und Bosbach tun. Spricht man den „Bild“-Mann Dirk Hoeren auf die Zahl an, verweist der u.a. höhnisch auf die FAZ. Ich habe auch bei der FAZ nachgefragt, auch in Mails an mehrere Wirtschaftsredakteure. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie das korrigieren wird — mei, die griechische Regierung, die ist eh chronisch unzuverlässig. Und Bosbach, naja. Hätte etwa Jauch ihm widersprechen sollen? Jauch? 

Nein, die Zahl ist vermutlich nie wieder aus der Welt zu kriegen. Muss man sich eigentlich auch Don Quichotte als glücklichen Menschen vorstellen?

Quelle: Stefan Niggemeier

Auf die Knie - Merkel will Tsipras zu Fall bringen

von Sahra Wagenknecht

Nur wenn die griechische Wirtschaft auf die Beine kommt, können auch Schulden bedient werden. Wer sich dieser simplen Logik verweigert, der will weder den Euro noch deutsche Steuergelder retten, sondern um jeden Preis eine linke Regierung zu Fall bringen. Die von der Troika geforderten Sozialkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen führen die griechische Wirtschaft noch tiefer in die Krise. Es ist ein Angriff auf die Menschenwürde, von der griechischen Bevölkerung weitere Rentenkürzungen zu verlangen obwohl die Renten in den letzten Jahren um 40 Prozent zusammengestrichen wurden. Es ist eine Attacke auf die Arbeiterbewegung, wenn Gewerkschaften entrechtet werden und entrechtet bleiben sollen, damit die Löhne um ein Maximum gesenkt werden können. Und es ist ein Anschlag auf die Demokratie, wenn Wahlergebnisse ignoriert und Regierungen dazu gezwungen werden, die von einer Gläubiger-Troika verlangten Reformen nur noch abzunicken.

»Die Arbeit muss mit den drei Institutionen stattfinden« und »Deutschland akzeptiert nur einen Vorschlag der drei Institutionen« – dieses Mantra gab Kanzlerin Angela Merkel auch auf dem Treffen mit Alexis Tsipras und dem französischen Präsidenten François Hollande am Mittwoch abend zum Besten. Damit führt sie solche Treffen ad absurdum, denn sie sollen ja dazu dienen, auf Ebene der Regierungschefs eine Lösung für Probleme zu finden, die durch die Troika erst geschaffen wurden. Merkel versteckt sich hinter der Troika – obwohl sowohl die Europäische Zentralbank als auch die EU-Kommission mit ihrer Erpressungspolitik gegen EU-Recht verstoßen. Sie besteht auf der Beteiligung des Internationalen Währungsfonds, dessen Schreibtischtäter schon in Lateinamerika und Afrika enormes Elend produziert haben. Der IWF hätte 2010 gar keine Kredite an Griechenland vergeben dürfen, sondern auf einem Schuldenschnitt bestehen müssen. Statt dessen wird gegenüber Griechenland mit irrationalen Zahlen hantiert, aus denen unerfüllbare Forderungen abgeleitet werden.

Doch die Verhandlungen scheitern nicht an Zahlen zu Primärüberschüssen und Fragen der Schuldentragfähigkeit. Sonst würden der IWF, die EU und andere Geldgeber keine 40 Milliarden US-Dollar in der bankrotten Ukraine versenken. Die Ukraine bekommt Kredite, damit eine rechte Regierung Waffen für einen sinnlosen Bruderkrieg kaufen kann. Griechenland lässt man am ausgestreckten Arm verhungern, weil man eine linke Regierung in die Knie zwingen will.

Junge Welt