© AFP 2019 / PATRICK HERTZOG
Besucht ein deutscher Gast das EU-Parlament, redet eigentlich ein deutscher Parlamentarier. Für den deutschen Bundestagspräsidenten, Wolfgang Schäuble, hat man diese Tradition aufgehoben - Ein kroatischer Abgeordneter hat übernommen. Schäuble hat anscheinend die Rede des deutschen Mitglieds im EU-Parlament gefürchtet: Martin Sonneborn. Zu Recht?
Traditionell steht das Rederecht zur Begrüßung eines deutschen Gastes bei den Fraktionslosen im EU-Parlament auch einem deutschen Parlamentarier zu. Das wäre im Fall des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Sonneborn gewesen.
Dem CDU-Politiker war die Aussicht auf die Worte des Bundesvorsitzenden von der Partei „Die Partei“ wohl nicht angenehm. Aber Martin Sonneborn wäre nicht Martin Sonneborn, wenn er seine Rede nicht doch noch gehalten hätte: Der Satiriker sprach vor der Tür des Plenarsaals und veröffentlichte sie im Internet.
Vielleicht wollte Wolfgang Schäuble auch nicht an die zwei Niederlagen erinnert werden, die ihm Martin Sonneborn vor Gericht zugefügt hatte. Der Bundestagspräsident hatte „Die Partei“ seinerzeit wegen der Geldverkaufsaktion verklagt.
Ob die finale Redelösung zum Vorteil für den ehemaligen Innen- und Finanzminister Schäuble war, ist fraglich. In seiner jetzigen Rede zählt Sonneborn auch die Punkte auf, welche er im Parlament eigentlich nicht erwähnen wollte:
„Dabei wollte ich weder Schäubles Rolle in der Affäre um Cum-Ex-Geschäfte ansprechen, noch seinen Kampf für Steuerhinterzieher und Geldwäscher, für den finalen Rettungsschuss, für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren – Stichwort: Abschuss von Zivilflugzeugen. Genauso wenig wie seine Anregung, bei Terror-Ermittlungen Foltergeständnisse zu nutzen oder alle weiteren Frontalangriffe des christdemokratischen Dogmatikers auf das deutsche Grundgesetz. Auf gar keinen Fall erwähnen wollte ich auch seine verfassungswidrige Brennelemente-Steuer, die die Bürger letztlich sieben Milliarden Euro kosten wird.“
Der damalige deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wurde 2011 durch den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude darauf hingewiesen, dass deutsche Banken ausländischen Anlegern bei der Umgehung der deutschen Kapitalertragsteuer halfen. Erst 2012 kam ein Gesetz zur endgültigen Unterbindung von Cum-Ex-Geschäften, und zu einem Verbot ähnlich angelegter Cum-Cum-Geschäfte kam es erst 2016. Allein durch sie entgingen dem deutschen Fiskus jährlich bis zu sechs Milliarden Euro Steuern. Die langsame Reaktion der Politik wird auch auf den erheblichen Einfluss von Bankenlobbyisten auf das Bundesministerium der Finanzen zurückgeführt.
Schäuble unterstützt die Straffreiheit von Steuerhinterziehern, die sich selbst anzeigen und kritisierte wiederholt SPD-geführte Bundeländer, welche sogenannte „Steuer-CDs“ kauften. Auch sollte die SPD den Widerstand gegen das Steuerabkommen mit der Schweiz aufzugeben, ginge es nach Schäuble.
Im Dezember 2005 schlug der damalige Innenminister Schäuble vor, Aussagen von Gefolterten bei der Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden zu verwenden. Um einen Einsatz der Bundeswehr für Sicherheitsaufgaben innerhalb der Landesgrenzen zu ermöglichen, unter anderem zum Zwecke des Abschusses von Zivilflugzeugen, sprach sich Schäuble 2007 für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes aus. Auf die Bedenken des damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der den Abschuss von Zivilflugzeugen für undenkbar bezeichnete, erwiderte Schäuble, Verfassungsrichter seien nicht demokratisch legitimiert, Ratschläge zu erteilen. Grundrechtlich geschützte Bereiche abzugrenzen, sei Sache des Gesetzgebers.
Von 2011 bis 2016 erhob das von Schäuble geführte Bundesfinanzministerium eine Steuer auf den Verbrauch von Brennelementen in Atomkraftwerken. Das Bundesverfassungsgericht erklärt diese sogenannte „Kernbrennstoffsteuer“ im Jahr 2017 für nichtig. Die drei Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW erhalten insgesamt 6,3 Milliarden Euro bereits gezahlter Steuern zurück – plus Zinsen.
All das und mehr (Schwarze Null), hatte Martin Sonneborn nicht geplant zu sagen. Eigentlich besuchte der Konservative Schäuble das EU-Parlament anlässlich einer feierlichen Sitzung zum 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am 9. November 1989. Aus diesem Anlass wollte Sonneborn eigentlich nur „gratulieren“:
„Gratulieren dazu, dass wir die DDR 1990 billig übernommen, kolonisiert, filetiert und nach allen Regeln der kapitalistischen Kunst ausgeschlachtet haben. Aber geben ist dennoch seliger denn nehmen. Und deswegen fordere ich hier und heute, den Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen in den kommenden Jahren schrittweise von 1,7 Prozent auf 1,75 Prozent zu erhöhen. ZwinkerSmiley!“
Nicht erfahren werden wir, ob Martin Sonneborn seine Rede doch im Parlament hätte halten dürfen, wenn er „Schäuble einen schwarzen Koffer mit 100.000 in gebrauchten Scheinen mitgebracht hätte, wie der vorbestrafte Waffenhändler Schreiber“.
Der Bundestagspräsident hielt eine Rede über die Lage der Nato.
https://de.sputniknews.com/politik/20191114325990378-schaueble-sonneborn-eu-parlament/