Jürgen Todenhöfer zu Sanktionen

Liebe Freunde, es ist gut, dass sich die Bundesregierung gegen die neuen Russland-Sanktionen der USA wehrt, denen jetzt auch Trump zugestimmt hat. Der laue Protest reicht jedoch nicht. Die Bundesregierung sollte die Aufhebung aller Russland-Sanktionen fordern. Sie vergiften das Verhältnis Europas zu Russland. Und schaden auch uns. Wir brauchen keinen neuen "Kalten Krieg". 

Die deutsche Russlandpolitik der letzten Jahre ist politisch und moralisch falsch. Politisch, weil Russland schon geographisch in dieser instabilen Welt - neben den USA - ein wichtiger strategischer Partner sein könnte. 

Moralisch, weil Deutschland im 2. Weltkrieg den Tod von weit über 20 Millionen Russen zu verantworten hat. Kein Volk hat unter den Nazis so leiden müssen wie das russische. Trotzdem hat die von Russland dominierte Sowjetunion die deutsche Wiedervereinigung zugelassen. Für "Peanuts". Wir haben auf diese große historische Geste mit der Ost-Erweiterung der NATO geantwortet. Obwohl Kohl und Genscher versprochen hatten, genau das nicht zu tun. Die Beteiligung Deutschlands an amerikanischen Sanktionen gegen Russland ist eine moralische Anmaßung.

Die USA verhängen in regelmäßigen Abständen Sanktionen gegen Russland und gegen die anderen "üblichen Verdächtigen". Wie zum Beispiel Iran. Was ist in den Augen der USA deren größtes Verbrechen? Verstöße gegen Menschenrechte oder gegen UNO-Beschlüsse oder die Besetzung anderer Länder? Natürlich nicht! Sonst müssten die USA ja auch Sanktionen gegen Saudi-Arabien, Katar und Israel sowie über all jene Länder verhängen, die völkerrechtswidrig den Irak überfielen. Vor allem gegen sich selbst.

Das schwerste Verbrechen in den Augen der USA ist UNGEHORSAM gegenüber ihrer Politik. Gegen folgsame, befreundete Staaten verhängen die USA nie Sanktionen. Egal, ob sie Diktaturen sind, egal welche Verbrechen sie begehen. Wie etwa die Diktaturen Aserbaidschan, Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan, Angola oder Äthiopien. Ich könnte noch viele andere menschenverachtende Regime nennen, denen die USA nie ein Haar krümmen werden. Weil sie nach ihrer Pfeife tanzen.

Wahrscheinlich haben Weltmächte schon immer versucht, ungehorsame Staaten oder Konkurrenten kleinzukriegen. Egal, ob dabei - wie bei den Irak-Sanktionen der 90er Jahre - 1,5 Millionen unschuldige Iraker ums Leben kamen. Darunter 750.000 Kinder. Dass wir Europäer dabei dabei meistens mitmachen, ist fast noch schlimmer. Wir sollten aufhören, Vasallen der USA zu sein. Die Interessen der USA sind oft, aber nicht immer, auch unsere Interessen. Und "Feinde" der USA sind nicht automatisch auch unsere Feinde. Euer JT

PS: Gestern kam nach 6-stündigem Raketenflug ein neues Weltraum-Team an der Raumfahrtstation ISS an: Ein Amerikaner, ein Russe, ein Europäer. 5 Monate werden sie in diesem "Außenposten der Menschheit" zusammen forschen, zusammen leben. Hallo Herr Trump, Herr Putin, Frau Merkel, es geht doch! Man muss es nur wollen.