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Wurde Gorbatschow 1990 für die deutsche Wiedervereinigung versprochen, dass sich die Nato nicht nach Osten ausdehnen würde? Frank Elbe, damals rechte Hand des deutschen Außenministers, meint im Sputnik-Interview, dies wäre zwar „kein völkerrechtlicher Vertrag“, aber eine schriftliche „Zusage, ein Versprechen“ des US-Außenministers gewesen.
- Herr Elbe, wie wichtig war die internationale Komponente bei der deutschen Wiedervereinigung und inwieweit gab es hier eine gewisse Konkurrenz zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt?
- Es war damals davon auszugehen, dass die Wiedervereinigung nur möglich sein würde, wenn die Alliierten ihre Vorbehaltsrechte in Bezug auf Deutschland aufgeben und damit die Souveränität Deutschlands wieder herstellen würden. Als wir dann im Auswärtigen Amt den Prozess "Zwei-plus-Vier", also die Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten, initiierten, habe ich im Bundeskanzleramt eine gewisse Zögerlichkeit festgestellt. Sie schienen nicht recht an einen Erfolg dieser Konstellation zu glauben und waren ganz froh, dass wir da an erster Front waren.
Die Verhandlungen mit den Alliierten waren auch von Anfang an kompliziert, aber es war wohl bei allen eine Bereitschaft vorhanden, den Prozess laufen zu lassen.
- Spielten denn die Vertreter der untergehenden DDR dabei noch eine Rolle?
- Das war ein bisschen schwierig. Bei ihnen gab es schon Vorstellungen, die sich von den Vorstellungen der Westdeutschen und der Alliierten unterschieden. Insbesondere ging es da um die sicherheitspolitische Ordnung der DDR. Ich kann dem damaligen DDR-Außenminister Meckel auch nicht übelnehmen, dass er lange Zeit daran festgehalten hat, aus dem Gebiet des wiedervereinten Deutschlands, Polens und der Tschechoslowakei eine große nuklearwaffenfreie Zone machen zu wollen. Für uns war es jedoch in der Phase erst einmal viel wichtiger, die Souveränität Deutschlands wiederherzustellen. Darüber gab es schon gelegentlich Reibereien zwischen den Delegationen der beiden deutschen Staaten.
- Stand denn die Wiedervereinigung im Laufe des Jahres 1990 noch einmal auf der Kippe?
- Nein. Bis auf einen kritischen Punkt. Das war der Parteitag der KPdSU im Juli in Moskau. Und es war nicht sicher, ob Gorbatschow da nicht gestürzt werden würde. So bemühten wir uns, Gorbatschow eine gewisse Schützenhilfe zu geben. Vor dem Parteitag gab es zufällig ein Treffen der Außenminister der Nato-Staaten in Turnberry in Schottland. Dort haben die Außenminister dann die sogenannte „Botschaft von Turnberry“ verfasst, in der die Nato-Mitgliedsstaaten der Sowjetunion und ihren Völkern die Hand der Freundschaft reichen. Das hat ungeheuer viel bewirkt.
- Wie war die Zusammenarbeit mit Gorbatschow und seinem Außenminister Schewardnadse?
- Die Zusammenarbeit mit beiden war hervorragend. Ich habe viele Gespräche zwischen Herrn Genscher und Herrn Schewardnadse miterlebt. Schewardnadse war der umsichtigere, aber auch der mutigere von beiden. Und er hatte klare Vorstellungen. Er sagte: "Wenn wir zu schnell verhandeln, kriegen wir die Vereinigung nicht hin. Darauf ist die russische Gesellschaft nicht vorbereitet. Verhandeln wir zu langsam, formieren sich die Gegner dieses Prozesses.“ Das zeigte schon eine Menge Mut und Weitblick und auch, dass Herr Schewardnadse ein ungeheuer zuverlässiger und vertrauenswürdiger Gesprächspartner war.
- Außenminister Genscher sagte in einer Rede in Tutzing am 31. Januar 1990: "Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben“. Was ist daraus geworden in den weiteren Verhandlungen?
- Dazu gibt es ja als offizielles Dokument den Brief von US-Außenminister Baker, der am 7./8. Februar zu Gesprächen mit Gorbatschow in Moskau war, an Helmut Kohl, der einen Tag später, am 9. Februar nach Moskau reiste.
Und hier schreibt Baker an Kohl, dass er Gorbatschow erklärt habe, dass die Nato sich keinen Zoll weiter nach Osten bewegen werde. Darauf hätte Gorbatschow relativ erstaunt reagiert, schreibt Baker, aber dann selbst auch wiederholt, dass dies natürlich niemals passieren dürfte, dass sich die Nato weiter nach Osten ausdehnt. Dieser Brief wurde vor Kohls Reise nach Moskau an ihn übergeben. Das ist schon eine Zusage, ein Versprechen. Es ist kein völkerrechtlicher Vertrag.
Es konnte auch nicht Gegenstand der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen sein. Das war ja zum damaligen Zeitpunkt noch eine Angelegenheit der Militärbündnisse Warschauer Pakt und Nato, worauf Herr Genscher ja in seiner Tutzing-Rede auch hingewiesen hat. Aber es war immerhin eine Zusage, die mit der Autorität des Führers des westlichen Lagers getroffen wurde. Baker war ja doch erster Repräsentant seines Staates gegenüber der Sowjetunion.
- Genscher bestand damals zumindest auf eine Nato-Mitgliedschaft Deutschlands.
- Es gab ja Mitte Dezember 1989 eine klare Aussage der Vereinigten Staaten, dass sie die deutsche Wiedervereinigung unterstützen würden unter der Voraussetzung, dass das vereinte Deutschland Mitglied der Nato würde. Diese Forderung machte uns die allergrößten Schwierigkeiten und bescherte uns ein unruhiges Weihnachten, da wir bereits an Genschers Rede für Tutzing saßen.Genscher hat dann in Tutzing auch gesagt, Deutschland kann nicht neutral bleiben. Das war die Reaktion auf die Forderung der Amerikaner. Genscher wurde dafür anschließend kritisiert, zum Beispiel von Hans-Jochen Vogel von der SPD, der meinte, Genscher hätte damit gegenüber Moskau die Chance auf die deutsche Einheit verspielt.
Der Rede schloss sich jedoch eine diplomatisch sehr aktive Zeit an. Genscher sprach wenige Tage danach mit Baker in Washington über diese Rede. Daraufhin hat sich dann Baker bereit erklärt, für dieses Konzept - Deutschland in der Nato, aber keine weitere Ausdehnung nach Osten - einzutreten. Damit ist Baker nach Moskau gefahren. Vorher hatte er sich noch mit dem französischen Außenminister Dumas und dem britischen Außenminister Hurt abgesprochen.
Heutzutage will das niemand mehr wahrhaben, aber es gibt eine ganze Reihe Gesprächsnotizen aus den Gesprächen westlicher Führer mit Gorbatschow damals, in denen westliche Führer, wie zum Beispiel Mitterrand (Francois Mitterrand, von 1981 bis 1995 französischer Staatspräsident, Anm. d. Red.) die Zusage zu keiner weiteren Osterweiterung als richtig anerkannt haben. Dass die Amerikaner sich dann später entschlossen haben, sich von dieser Zusage und diesem Brief zu distanzieren, ist etwas, das der Entwicklung der amerikanischen Außenpolitik ab etwa 1996 zuzurechnen ist.
Frank Elbe (78) war von 1987 bis 1992 Bürochef und Redenschreiber des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher.
Der Diplomat war später langjähriger deutscher Botschafter in Indien (1993–1997), Japan (1997–1999), Polen (1999–2003) und der Schweiz (2003–2005).
Das Interview mit Frank Elbe zum Nachhören:
* Die in diesem Artikel vorgebrachten Ansichten müssen nicht denen der Sputnik-Redaktion entsprechen.
https://de.sputniknews.com/interviews/20200131326380561-nato-osterweiterung-elbe/
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Siehe auch bei einer weiteren Fundstelle hier.