Auswirkungen der Pandemie: »Wir stoßen zusehends an unsere Grenzen« Coronaviruspandemie trifft vor allem diejenigen, die ohnehin wenig haben.

Erfahrungen einer Praktikerin. 

Ein Gespräch mit Sylvia Brennemann, Interview: Markus Bernhardt

Das Coronavirus trifft vor allem diejenigen, die in der bürgerlichen Gesellschaft ohnehin Probleme haben. Verändert die Pandemie auch Ihre Arbeit in Duisburg-Marxloh?

Ja, die Auswirkungen sind gravierend. Am Sonntag wurde bundesweit eine sogenannte Kontaktsperre eingeführt. Das macht uns die Arbeit nicht leichter, ich verstehe aber die Notwendigkeit dieses harten Schritts.

Die Bevölkerung soll sich aus Schutz vor möglichen Infektionen in ihren Wohnungen aufhalten. Was bedeutet das für wohnungslose Menschen, die Sie im »Petershof« betreuen?

Wir versuchen zunächst, die Abstandsregeln einzuhalten. Das gilt sowohl für unsere Gäste als auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ehrenamtliche Kräfte. Aber richtig ist: Wer keine Wohnung hat, kann sich auch nicht darin aufhalten. Wir versuchen derzeit, Betroffenen eine Unterkunft zu bieten und sie – soweit es uns möglich ist – medizinisch und mit Lebensmitteln zu versorgen. Wir wollen trotz der Krise auch weiterhin für alle Menschen ansprechbar sein, die hilfsbedürftig sind.

Zwar werden für die Wirtschaft Milliardenhilfen bereitgestellt, aber die Gruppen, die seit jeher gesellschaftlich ausgegrenzt und geächtet werden, werden noch mehr allein gelassen, als es vor dem Ausbruch der Pandemie der Fall war.

An welche Gruppen denken Sie da?

An ganz unterschiedliche: Wohnungslose, Drogenkonsumenten, Romafamilien, Geflüchtete oder Prostituierte. Ich denke jedoch auch an betagte und kranke Menschen, Alleinerziehende und Geringverdienerinnen und -verdiener.

Der »Petershof« steht allen Menschen offen. Wir tun, was wir können.

Erhalten Sie Unterstützung seitens der Stadt?

Nein. Dabei wird unser Angebot dieser Tage verstärkt in Anspruch genommen. Die Menschen sind verunsichert, einige haben Angst. Wenn die Stadt schon nicht bereit ist, dafür Sorge zu tragen, obwohl es ihr ureigener Auftrag ist, machen wir das.

Aber auch wir stoßen zusehends an unsere Grenzen. Im Gegensatz zu uns haben viele Hilfsangebote wie etwa die »Tafeln«, die Menschen normalerweise mit Lebensmitteln versorgen, geschlossen, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Hilfsbedürftigen vor der Pandemie zu schützen. Wir versuchen, das aufzufangen, und haben eine Nachbarschaftshilfe ins Leben gerufen, um für Menschen einzukaufen.

Was wünschen Sie sich derzeit für Ihre Arbeit?

Mehr Unterstützung von den Verantwortlichen für die, die Hilfe brauchen, und die, die sie seit Jahren auf eigene Kosten leisten. Also die Zehntausenden mit den wirklich systemrelevanten Jobs, die Menschen in den Gesundheits- und Pflegeberufen, die Ehrenamtlichen und aktuell die Verkäuferinnen und Verkäufer, die Paketboten und die vielen anderen, die nicht auf Ellenbogen, sondern auf Werte wie Solidarität und Humanismus setzen.

Gibt es in der aktuellen Lage auch Dinge, die Ihnen Hoffnung machen?

Wenn wir uns nach der hoffentlich schnellen Bewältigung der Pandemie zumindest ein paar wesentliche Frage stellen würden, wäre zumindest etwas Positives erreicht. Wie wichtig ist ein faires Miteinander? Wie wichtig die Solidarität über Landesgrenzen hinweg? Wie werden die Flüchtlinge geschützt, die an der Grenze zu Griechenland allein gelassen werden? Wie steht es um die Solidarität der Jungen mit den Alten und Gebrechlichen?

Und warum bauen noch immer so viele Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik auf eine extrem rechte und rassistische Partei, deren Anhänger zum Teil die Existenz der Coronaviruspandemie leugnen? Das sind die Fragen, die mich derzeit umtreiben. Und ich bin verwundert, wie viele Virologen und Mediziner ich offenbar in meinem Bekanntenkreis habe (lacht).

Vielleicht nutzen einige Menschen die zwangsläufige Entschleunigung, um einen Schritt zurückzutreten und ihr Verhalten einmal selbstkritisch zu überdenken.

Quelle