Über den Ausruf eines ordentlichen Klima-Generalstreiks am 20. September

Fridays for Future rufen am 20. September zum General-Klimastreik (FB-Event) auf. Verdi-Chef Bsirske springt ihnen bei, meint aber, ein Aufruf zu einem ordentlichen Streik wäre nicht möglich. Warum eigentlich?

Historiker Uwe Fuhrmann in einem lesenswerten Twitter-Thread mit ein paar Anmerkungen dazu:

Darf der DGB zum Klimastreik aufrufen?

Am 20. September 2019 soll ein globaler Klimastreik stattfinden. Was würde passieren, wenn dazu der DGB und seine Gewerkschaften zur Arbeitsniederlegung aufrufen würden?

Einige Überlegungen (thread): Durch die Rechtsprechung seit den 1950ern sind Streiks, die andere als tarifvertragliche Ziele haben, stark eingeschränkt. Daher die verbreitete Einschätzung „politische Streiks“ seien verboten. Doch juristische Argumentation führt hinsichtlich eines Generalstreiks nicht weiter.
Ein politischer Generalstreik ist vom Charakter her rechtsetzend; er ist potentiell die einzige Gewalt im bürgerlichen Zeitalter, die neben dem Staat aus sich selbst heraus legitim ist (dazu: Walter Benjamin, Kritik der Gewalt).

Im November 1918 wurde per Generalstreik der Weltkrieg beendet, im März 1920 die Weimarer Republik vor einem rechten Putsch gerettet und im Herbst 1948 die „freie Marktwirtschaft“ verhindert. Legal? Illegal? War nie von Bedeutung.
Insbesondere der Streik am 12. Nov. 1948 kann als Anschauung dienen, denn es waren bereits ähnliche Akteure wie heute, der DGB und das spätere Spitzenpersonal der BRD. Hinzu kamen die Besatzungsmächte.

Zwar musste die DGB-Spitze 1948 zum Jagen getragen werden, doch spätestens am 2. November 1948 war klar, dass es einen Generalstreik geben würde. Sämtliche Entscheidungsträger gingen nach diesem klaren Beschluss auf die Gewerkschaften zu (!). Die Besatzungsmächte äußerten keine Einwände; Ludwig Erhard & Co erklärten Übereinstimmung mit vielen gewerkschaftlichen Zielen (und lehnten andere ab). Was hätten sie sonst tun sollen? Bei 4,5 Mio. DGB-Mitgliedern streikten 9 von 12 Mio. Erwerbstätigen.

Meinung: Sollte der DGB sich entschlossen (!) entschließen, am 20. September 2019 ein dringend benötigtes Zeichen zu setzen, wird ihm juristisch rein gar nichts passieren. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Will er?

Ich hatte im März bereits über ein fehlendes Streikrecht für Schüler nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass ein Streikrecht für Schüler aufgrund des Bruchs des Generationenvertrags gegeben ist und eingefordert werden kann. Ähnlich dürfte es sich mit einem politischen Klima-Generalstreik verhalten: Der Klimawandel bedroht (auch) Beschäftigungsverhältnisse existenziell und bisherige Maßnahmen und Verhaltensweisen aus Politik und Wirtschaft sind keinesfalls ausreichend, um diese existenzielle Gefährdung zu beseitigen. Daher sehe ich keinen Grund für Bsirskes vorauseilenden Gehorsam, der einen Aufruf zu einem ordentlichen Streik ablehnt. Der DGB könnte unter diesen juristischen Bedingungen als Dachverband durchaus zu einem ordentlichen politischen Generalstreik angesichts der Klimakrise aufrufen. Wie Uwe Fuhrmann muss man fragen: Will er?

Hilfreich bei diesen Fragen ist auch Jörg Nowaks Text bei der Bundeszentrale für politische Bildung über das angebliche Verbot politischer Streiks in Deutschland:

Obwohl politische Streiks nach dem Urteil von 1952 überwiegend als illegitim betrachtet werden, gab es zahlreiche politische Streiks in der Bundesrepublik. 1968 streikten viele Betriebe gegen die Notstandsgesetze, obwohl die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) dies unterbinden wollte. Gegen das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt streikten 1972 etwa 100.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter/-innen. Auch gegen den 1996 von der Regierung Kohl verfolgten Plan, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen, gab es zahlreiche Streikaktionen, die schließlich das Gesetz zu Fall brachten. So besetzten unter anderem 7000 Bauarbeiter die Baustelle am Potsdamer Platz. Die IG Metall rief im Jahr 2007 wiederum zu ,Protesten während der Arbeitszeit’ gegen die Rente mit 67 auf, daran beteiligten sich 300.000 Beschäftigte. In der DDR wurden Streiks generell unterdrückt, womit die wenigen Streiktätigkeiten in der 40-jährigen Geschichte der DDR grundsätzlich politischen Charakter hatten.

Die Beispiele zeigen, dass das Verbot von politischen Streiks in Deutschland weder juristisch auf sicheren Füßen steht, noch de facto eingehalten wird. Je nach politischer Situation finden trotz entgegengesetzter juristischer Lehrmeinung auch in Deutschland politische Streiks statt, die nicht bestraft werden. Bei den Streiks beamteter Lehrer dagegen haben einige Landesregierungen (zum Beispiel Hessen und NRW) in den letzten Jahren gezeigt, dass sie in bestimmten Fällen auch nicht vor juristischer Verfolgung von Streikenden zurückschrecken. Jedoch könnte das Streikverbot für die beamteten Lehrer in den nächsten Jahren fallen, da es möglicherweise gegen das Gebot der Gleichbehandlung (in dem Fall mit angestellten Lehrern) verstößt.

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