„Absaufen!“ - Pro und Contra

Screenshot aus dem Video, in dem die Menschen "Absaufen!" gröhlen. 

Ein Kommentar zur aufziehenden rechten Hegemonie in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit

Das Fleisch, es schlägt wieder auf in Deutschlands Vorstädten. Wie es dann in Deutschlands Innenstädten zugeht, wurde beispielsweise am 25. Juni im berüchtigten sächsischen Dresden offenbar, als die Rechtsextremisten der Pegida sich zu ihrer allwöchentlichen Hasstherapie zusammenrotteten.

Die Hetzrede eines Redners gegen die Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline ("Schlepper-Organisation"), deren Rettungsschiff sich zu jenem Zeitpunkt mit hunderten Flüchtlingen auf einer Irrfahrt durch das abgeschottete Mittelmeer befand, wurde von den Anwesenden mit wütenden Parolen angefacht: "Absaufen! Absaufen! Absaufen!".

Damit forderten die versammelten Pegida-Nazis explizit eben das, was Faschismus nicht zu einer Meinung, sondern zu einem Verbrechen macht: den Mord an Menschen. Die Masken fallen, es ist absolut evident, worauf die durch die Neue Rechte forcierte Verrohung und Barbarisierung des öffentlichen Diskurses in der Bundesrepublik hinausläuft: Das "Absaufenlassen" von Menschen im Mittelmeer, den Mord durch unterlassene Hilfeleistung, nicht nur still hinzunehmen, sondern als neue Normalität bewusst zu akzeptieren. Es ist die blanke, klar zutage tretende Logik der Barbarei.

Man wird es ja wohl noch sagen dürfen! Nicht unbedingt. Mit diesem offenen Mordaufruf unterschreiten Sachsens Nazis inzwischen selbst die bescheidenen zivilisatorischen Mindeststandards, die das Bürgerliche Gesetzbuch dem öffentlichen Diskurs auferlegt. Die Dresdner Polizei sah sich nach Medienberichten veranlasst, Ermittlungen einzuleiten.

Vom Nazi zum Bürger in weniger als vier Wochen

Dennoch stellt sich auch bei diesem rechten Zivilisationsbruch nur noch die Frage, wann er auch im Mainstream der Bundesrepublik diskutiert werden wird. Wann werden diese berechtigten "Sorgen und Ängste" des versammelten braunen Hassmobs auch wirklich ernst genommen von Deutschlands Politeliten und Meinungsmachern?

Allein schon der Auflage und der Zugriffszahlen wegen! Konkret: Wie lange braucht es, bis die Vernichtungsphantasien der versammelten Dresdner Rechten es bis in die Redaktionsstuben ihrer "Lügenpresse" schaffen (Die Lügenpresse und ihre Lügenfressen)?

Die Frage kann nach dem aktuellen Skandal um "mutige Tabubrüche" in der bieder-bürgerlichen Wochenzeitung "Die Zeit" klar beantwortet werden. Inzwischen sind es weniger als vier Wochen. Der Vernichtungswunsch nach dem "Absaufen!" braucht weniger als einen Monat, um von der braunen sächsischen Gosse in die piekfeinen Hamburger Redaktionsräume zu diffundieren.

Wenn die braunen Parolen einem bürgerlichen Schonwaschgang unterzogen werden, dann sieht das folgendermaßen aus: "Private Helfer retten Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer aus Seenot. Ist das legitim? Ein Pro und Contra." Die Ausgabe der Zeit trug auch den Titel "Sei mutig". Man wird ja wohl noch fragen dürfen!

Und tatsächlich wird die vom braunen Mob gestellte Frage bereits kontrovers diskutiert in den lieben Medien, als "wäre es das Normalste der Welt", wie die Schweizer Tageswoche bemerkte. Die Hamburger Morgenpost (Mopo) beispielsweise ist nicht überzeugt von dem nun breit diskutieren Nazikonzept des "Absaufen!". Es sei "keine Lösung", Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, stellte das Springerblatt fest. Inzwischen muss mensch erleichtert sein bei solchen Schlagzeilen der Springerpresse.

Dabei stellt allein schon die Tatsache, dass über das gezielte Ertrinkenlassen von Menschen öffentlich diskutiert wird, einen weiteren Etappensieg der Neuen Rechen bei ihrem Marsch in die Barbarei dar. Und letztendlich spiegelt der gegenwärtige Diskurs nur die Realität in einem Europa wider, das spätestens mit der Regierungsbeteiligung von Rechtsextremisten in Italien eben diese Politik des "Absaufen!" de facto praktiziert. Im Juni seien 629 Menschen ertrunken beim Versuch, Libyen zu verlassen, meldete die Mopo, zugleich seien deutlich weniger Flüchtlinge in Italien angekommen.

Die Zeitredaktion selber ging übrigens in die übliche Opferpose über, die seit der Sarrazin-Debatte charakteristisch ist für die "Tabubrecher" der Neuen Rechten, die sich nach jeder barbarischen Provokation als die verfolgte Unschuld gebären. Nachdem er die Legitimität des "Absaufen!"-Lassens in einem "mutigen" Pro und Contra diskutieren ließ, jammerte Bernd Ulrich, Politik-Chef und Vize-Chefredakteur der Zeit, er habe am eigenen Leibe erfahren müssen, wie es sei, wenn die "flüchtlingsfreundliche Gemeinde" ins Gefecht ziehe.

Um den zivilisatorischen Mindeststandard, Menschen in Not zu retten, sie nicht gezielt verrecken zu lassen, als Ausdruck von Zugehörigkeit zu einer "flüchtlingsfreundlichen Gemeinde" zu interpretierten, muss sich in Herrn Ulrich Hirn schon die Pegida-Logik durchgesetzt haben. Der Rechtsextremismus mit seinem Fluchtpunkt im offenen faschistischen Terror ist ein Extremismus der Mitte. "Absaufen!" Das ist es, was vom deutschen Bürger übrig bleibt, wenn ihm in Krisenzeiten der Arsch auf Grundeis geht - ein brauner Würger.

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