#Pandemie #ZweiteWelle

Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos, dans une chambre.

Blaise Pasacal (1623-1662)

Pensées II, 139

Shortsellee

Finanzkapital: »Ich mache Profite, weil die Firmen betrügen« Über die Ähnlichkeit von Shortsellern und Sozialarbeitern sowie krumme Geschäfte bei Wirecard und Grenke. Ein Gespräch mit Fraser Perring Interview: Simon Zeise

Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bafin, hatte nicht bemerkt, dass der Finanzdienstleister Wirecard seine Bilanzen fälschte. Rund 1,9 Milliarden Euro hatte der Konzern ausgewiesen, die sich als Luftbuchungen herausstellten. Sie hatten der Financial Times bereits Jahre vor Auffliegen des Skandals einen Tip gegeben und auf sinkende Kurse von Wirecard gesetzt. Sind Leerverkäufer die besseren Finanzaufseher?

Hundertprozentig. Leerverkäufer müssen die Fakten checken, bevor sie ihre Vorwürfe veröffentlichen. Bevor wir die Öffentlichkeit suchten, ermutigten wir alle Kontrollinstanzen, den Betrugsvorwürfen bei Wirecard nachzugehen. Unsere Dokumente müssen sehr strenge Regeln durchlaufen.

Liegen wir richtig, und können wir es beweisen? Wo ist die Quelle? Wir überprüften die Informationen aus öffentlich zugänglichen Dokumenten.

Das bedeutet, dass die Aufsichtsbehörden geschlafen haben.

Wie kommen Sie an die Informationen über Betrug und wie Unternehmen ihre Bilanzen fälschen?

Üblicherweise durch Diskussionen mit anderen Leuten. So war es 2015.

Jemand kam zu mir und sagte: »Hast du dir Wirecard angesehen?« Ich sagte: »Nein, ich habe bisher kaum von dem Unternehmen gehört.« Mein Informant sagte: »Die schrauben immer ihre Zahlen nach oben.« Und so versuchten wir so viele Informationen wie möglich über die Angebereien herauszufinden, die Wirecard in ihren Börsenberichten veröffentlichte. Das Unternehmen gab an, viele neue Verträge abgeschlossen zu haben. Aber wenn man genau hinsah, fielen die Geschäfte viel kleiner aus, als sie es vorgaben. Die meisten Betrügereien verlaufen nach einem stereotypen Muster von Übertreibungen. Sie seien besser als ihre Konkurrenten. Wirecard gab an, sogar während der Covid-19-Krise die Profite zu steigern, während alle anderen Bezahldienstleister sagten, dass ihre Umsätze zurückgegangen seien. Während des Shutdowns gingen weniger Menschen einkaufen, der Handel wurde aufs Internet verlagert, und kontaktlose Zahlungsmethoden, wie sie Wirecard anbot, wurden seltener genutzt. Doch die Pandemie schien das Unternehmen überhaupt nicht zu beeinflussen.

Sie sorgten nicht nur bei Wirecard dafür, dass der große Bluff aufflog.

Derzeit wetten Sie auf sinkende Kurse beim deutschen Leasingunternehmen Grenke. Worum geht es?

Bei Grenke ist es dasselbe Problem: Deren Gewinnspannen lagen lange Zeit weit über denen der Konkurrenz. Wir haben alle Franchiseunternehmen von Grenke untersucht. Sie steigern Jahr für Jahr ihre Erträge, also brauchen sie Investitionsmöglichkeiten. Dasselbe bei Wirecard: Sie haben das Geschäft um das Fünffache ausgebaut. Wo ist das Bargeld hin? Das Schöne daran, ein Shortseller zu sein, ist, dass wir mit gesundem Menschenverstand handeln. Nehmen wir zwei Journalisten, beide verfügen über ähnliche Fähigkeiten, also wissen Sie, dass sie ungefähr dasselbe verdienen sollten. Aber plötzlich gibt es einen, der viel mehr als alle anderen verdient. Es ist keine komplizierte Wissenschaft. Man muss den zentralen Fragen nachgehen: Was geschieht hier? Wo ist die geheime Quelle?

Was läuft falsch auf dem deutschen Finanzmarkt?

Ich könnte zurückfragen, was läuft richtig in Deutschland? Es ist einfach. Ich habe viele deutsche Freunde. Es hat nichts mit Deutschland zu tun. Es ist ein Problem mit Betrug. Es ist absurd, zu denken, wir hätten Grenke ausgesucht. Der Grund ist, Grenke hat uns ausgesucht. Ich bin ein Leerverkäufer. Für mich macht es keinen Unterschied, in welchem Land der Welt die betreffende Firma sitzt. Wann immer eine Firma einen hohen Bargeldbestand hat und trotzdem den Eigenkapitalbestand erhöhen will, werde ich hellhörig. Es gibt diesen ganzen Abschaum und die betrügerischen Systeme, durch die kleine Geschäfte gekillt und ihnen Schulden aufgehalst werden. Dass es in Deutschland geschah, machte keinen Unterschied für mich. Das Gute ist doch, dass die deutschen Behörden aus dem Fall lernen und weiterentwickelt werden können. Die Mehrheit der Deutschen sind ehrliche Leute. Und dann gibt es da diese wenigen Betrüger.

So wie in vielen anderen Ländern auch. Ich arbeite gerade an einer anderen deutschen Firma und an einem Unternehmen aus England. Also, hege ich Vorurteile gegenüber englischen Firmen? Nein, ich behandele sie alle gleich.

Also lagen die Finanzbehörden im Tiefschlaf?

Ausschlaggebend ist, dass Deutschland angewiesen auf Selbstregulierung ist.

Die Behörden sehen im Fall Wirecard wirklich alt aus. Ich bin entsetzt, dass die Aufsichtsbehörde meine Menschenrechte verletzte und mich verklagte, weil ich richtig lag. Deutschland soll eines der am meisten entwickelten Länder der Welt sein. Für Ingenieure und Technologie mag das zutreffen, aber sie verfolgen Whistleblower – das ist es, was am Markt falsch läuft. Die Behörden hätten sagen müssen: Ihre Informationen sind relevant für uns, und danke dafür, dass Sie uns darauf aufmerksam gemacht haben.

Es ist sechs Wochen her, dass wir unsere Vorwürfe gegen Grenke öffentlich gemacht haben. Denken Sie wirklich, wir liegen falsch? Sie können alles überprüfen. Wir sind die einzigen Shortseller der Welt, die ihre Daten veröffentlichen. Sie können die lokalen Konten von Grenke überprüfen, die in den USA, Australien, Schweiz, Österreich, Singapur, Irland und Großbritannien vorhanden sind. So einfach ist unser Job, ein Unternehmen zu überprüfen. Warum ist kein Mitarbeiter der Finanzaufsicht zu den Banken gegangen und hat gesagt: Okay, wir haben ein paar Listen, auf denen steht, mit wem sie besser keine Geschäfte machen sollten. Das schließt Optionen auf Aktiengeschäfte ein, Betrug mit Kryptowährungen und andere faule Deals. Grenke machte also weiter, und wissen Sie, womit sich die Bafin herausredete? Genau wie bei Wirecard: Es habe sich zu dem Zeitpunkt, als wir sie verdächtigten, nicht um kriminelle Firmen gehandelt. Nennen Sie mir einen Kriminellen, der zu einer Bank geht und sagt: Hey, ich bin ein Betrüger und möchte bei Ihnen ein Konto eröffnen. Es ist absurd.

Kanzlerin Angela Merkel ging bei einem Staatsbesuch in China für Wirecard auf Werbetour. Hatte Wirecard also Rückendeckung von ganz oben?

Ich ermutige alle deutschen Investoren, sich eine Firma anzuschauen, und wenn deren Geschäft besser als das aller anderen Unternehmen läuft, misstrauisch zu werden. Wenn es Apple ist, verstehe ich das. Ungefähr die halbe Welt benutzt Apple-Produkte. Also wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Apple die Bilanzen fälscht? Gering. Aber es gibt auch Firmen wie Grenke und Wirecard. Ich rief bei der Bafin an und sagte: Mein Name ist Fraser Perring, und ich möchte Ihnen helfen, die Geldwäscheuntersuchungen bei Wirecard zu verfolgen. Wissen Sie, was diese dummen Idioten gesagt haben? Wir sind nicht interessiert an Betrug, sondern an Ihnen, Mr. Perring! Wie absurd! Es ist, als ob man einen Bankraub der Polizei meldet und dafür von den Behörden angeklagt wird!

Wie sieht das Alltagsleben eines Shortsellers aus? Sie haben früher als Sozialarbeiter gearbeitet. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ihrem damaligen und Ihrem heutigen Beruf? 

Oh ja, da gibt es viele Gemeinsamkeiten. Ich bin besser qualifiziert als die meisten Finanzanalysten. Denn ich habe gelebt. Viele spätere Finanzanalysten wachsen auf, gehen auf ein Eliteinternat, dann zur Universität, und Papi gibt ihnen schließlich einen Job bei einer Investmentbank. Sie haben keinerlei Lebenserfahrung. Nicht etwa wie Journalisten, die das Elend und das Schöne im Leben kennenlernen. Sie machen ihre Arbeit nicht, um reich zu werden. Ich war auch nicht als Sozialarbeiter tätig, um reich zu werden. Ich wollte die Welt verbessern.

Aber ich machte oft die Erfahrung, dass die Behörden Kinder in Familien gaben, bei denen nicht geprüft wurde, ob sie eine kriminelle Vergangenheit hatten, und so wurden die Kinder oft in Familien misshandelt. Mir wurde gesagt, falls ich Bedenken hätte, sollte ich eine eigens eingerichtete Whistleblower-Hotline anrufen. Wir werden Sie beschützen. Haha. Sie gaben mir damals einen Einführungskurs für Wirecard. Ich wurde unter Druck gesetzt, als ich Kritik äußerte. So wie in diesen Familien bei Sozialarbeitern geht es auf den Finanzmärkten zu. Sie müssen die Familienverhältnisse der Upperclass untersuchen. Der Stiefvater ist der Vorstandschef eines Konzerns, die Mutter ist Geschäftsführerin einer anderen Firma. Wenn die Familie lange im Geschäft ist und bessere Ergebnisse als alle anderen erzielt, muss man sich fragen, wie sie das gemacht haben. Die Ironie ist: 99 Prozent unserer Recherchen beginnen wir mit einfachen Suchanfragen bei Google: »Wirecard-Einnahmen«, »Wirecard-Betrug« – so einfach ist es. Es ist wie bei Sozialarbeitern – man achtet auf die Details. Es kommt auf das Ausmaß der Recherche an.

Ich ermutige jeden Investor, wenn er eine Aktie kauft, sollte er sich die Firmenkonten genau ansehen, und wenn er es nicht versteht, jemanden fragen, der sich damit auskennt – aber sicher nicht die Deutsche-Bank-Tochter DWS, die haben sogar noch Wirecard-Aktien gekauft, als der Laden zusammenbrach.

Sie sehen sich als Sozialarbeiter des Finanzmarkts. Aber wie steht es um die Familien der Mitarbeiter, die arbeitslos geworden sind, weil Sie gegen das Unternehmen gewettet haben?

Es ist nicht mein Fehler. Es sind die Typen, die betrogen haben. Sie können nicht denjenigen, der den Betrug aufgedeckt hat, dafür verantwortlich machen, dass die Arbeiter des Unternehmens ihren Job verlieren. Es ist absurd, mich dafür verantwortlich zu machen, weil ich meinen Job machte, die Behörden warnte und dafür verfolgt wurde. Ich möchte niemanden verletzen. Was ist mit all den Whistleblowern und früheren Angestellten, die versuchten, die Wahrheit ans Licht zu bringen?

Wirecard hat sie fertiggemacht. Jeder, der ein Problem offen ansprach, bei Wirecard kündigte und bei einem anderen Unternehmen anfing, erhielt zwei oder drei Wochen später ein Schreiben des Vorstands, in dem stand: Wenn wir Sie beschäftigen, kriegen wir Ärger mit Wirecard.

Ganz selbstlos ist Ihre Arbeit allerdings nicht. Sie erzielen hohe Profite, wenn die Firmen pleite gehen … 

Ich mache Profite, weil die Firmen betrügen. Ist das falsch? Jeder Analyst da draußen schrieb lange Berichte für seine Klienten, in denen er empfahl, Wirecard-Aktien zu kaufen: Commerzbank, Bank of America, Deutsche Bank. Gott, die Liste ist endlos. Sie sagten, Wirecard ist großartig, das Preisziel ist der Mond. Wieviel Geld haben die gemacht? Ich schätze mal, weitaus mehr als ich. Geben sie die Gebühren an ihre Kunden zurück?

Ich schätze nicht … 

Exakt. Die Analysten müssten ihren Kunden nämlich mitteilen: Es tut uns leid, aber ihre Wirecard-Aktie steht nur noch bei 74 Cent. Nicht Euro, nein, Cent. Sie haben alles verloren. Die Leute, die mir wirklich leid tun und bei denen sich die Bafin nicht entschuldigt hat, sind diejenigen, die Wirecard-Aktien gekauft haben, nachdem die Bafin ein Leerverkaufsverbot für Wirecard verhängt und erklärt hatte: Keine Sorge, die Vorwürfe sind manipulativ, Wirecard ist eine großartige Firma, blablabla. Ich habe mit einer 78jährigen Frau gesprochen, die daraufhin 700.000 Euro in Wirecard investierte, weil sie glaubte, das Unternehmen sei sauber.

Was ist die Ursache des Problems? Ist nicht einfach viel zuviel Geld auf den Finanzmärkten vorhanden? 

Ja, Geld ist Betrug. Die Zentralbanken werfen derzeit nur so mit Geld um sich. Sie reden von Inflation. Dazu wird es nicht kommen, denn es ist so viel Geld da draußen, dass die Hälfte davon gefälscht sein könnte. Aber unter diesen Umständen ist es schwerer, einen Konzern zu shorten. Denn die Leute geben einen Scheiß auf unsere Vorwürfe. Kürzlich habe ich auf Twitter gelesen, Grenke habe nur in Höhe von 300 oder 400 Millionen Euro die Bilanz gefälscht. Das sei nicht das Ende der Welt. Nur 300 bis 400 Millionen Euro? Das muss man sich vor Augen führen. Die Bafin antwortete mir auf meine Vorwürfe bei Wirecard, ich hätte zwar recht, aber es handle sich um Marktmanipulation. Wie kann das sein? Wenn viel Geld im Umlauf ist, haben es Betrüger einfacher.

Was Wirecard gemacht hat? Sie verkauften ihren kontaktlosen Bezahldienst an eine Nudelbar in Singapur. Ich meine, wollen die mich verarschen? Der Marktpreis von Wirecard belief sich zu dem Zeitpunkt auf 24 Milliarden Euro. Wirecard gab an, mit Uber zu kooperieren. Ich fragte bei Uber nach, und sie fragten: Wirecard, wer ist das? Jeder in Deutschland hätte meine Arbeit machen können. Schließlich sah die Sache ja ein wenig nach Betrug aus.

Ein wenig?

Jedenfalls machte ich die Nudelbar in Singapur ausfindig. Als Wirecard ankündigte, sie hätten einen exklusiven Vertrag in Singapur unterzeichnet, schnellte die Aktie um sechs Prozent in die Höhe. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, Geld ist Betrug, aber trotzdem wollen sie es vermehren.

Wer steht als nächstes auf Ihrem Speiseplan? Welche Firma hat ihre Bilanzen aufgehübscht? Von besonderem Interesse ist natürlich der deutsche Markt.

Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Ach, kommen Sie schon.

Damit Sie sich eine Vorstellung machen können: Die Auseinandersetzung mit Grenke hat uns bis jetzt Hunderttausende Euro gekostet. Wir nehmen das ganze Risiko auf uns, wenn wir unsere Vorwürfe öffentlich machen. Aber das kann auch jeder andere machen. Googeln sie: »ctp british columbia«, und sie finden heraus, dass jemand viel Geld gemacht hat – aber es waren nicht die Investoren. Finden Sie selbst heraus, was nicht stimmt. Stellen Sie sich vor das Geschäft und zählen Sie, wie viele Leute rein und rausgehen.

Warum gibt es keinen erfolgreichen Leerverkäufer in Deutschland, der Ihre Arbeit gemacht hat?

Offensichtlich können sie beim Schreiben für ein Kursziel von 24 Milliarden Euro mehr verdienen als beim Schreiben für ein Kursziel von null. Ich frage mich: Warum spricht man in Deutschland von Short-Attacken?

Das setzt voraus, es handele sich um Opfer. Aber wer ist das Opfer, bei einer Firma, die betrügt? Und wer ist der Täter? Es ist nicht der Leerverkäufer. Habe ich Wolfgang Grenkes Freundin 100 Millionen Euro gegeben? Nein. Er war das. Habe ich der Grenke AG zahlreiche wertlose Franchiseunternehmen aufgehalst? Nein, sie waren das selbst. Die Manager lieben das Wort Attacke, weil es bedeutet, dass sie die Opfer sind. Sie sind es aber nicht. Sie sind die Täter. Ich ging nicht zu Wolfgang Grenke und sagte ihm, ich kenne ein paar Investoren, denen wir wertlose Franchiseunternehmen aufschwatzen können. Sie machten es allerdings 32mal.

Welche Folgen hatte die Auseinandersetzung für Sie?

Auf dem Höhepunkt des Wirecard-Skandals war ich mit 13 Millionen Euro im Minus. Die Firma ließ am Tag 1.300 Leute auf mich los. Jeder lachte über mich. Aber ich wusste, dass ich recht hatte. Die Behörden ermöglichten es. Sie beschützten die Firma. Es ist absurd, zu denken, die deutschen Behörden seien so blind, zu glauben, es handele sich um eine angelsächsische Attacke. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich Engländer bin, es handelte sich um verdammten Betrug.

Shortseller wetten auf fallende Kurse. Das kann sehr lukrativ sein.

Finanzkapital: »Ich mache Profite, weil die Firmen betrügen« 

Über die Ähnlichkeit von Shortsellern und Sozialarbeitern sowie krumme Geschäfte bei Wirecard und Grenke. 

Ein Gespräch mit Fraser Perring Interview: Simon Zeise

Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bafin, hatte nicht bemerkt, dass der Finanzdienstleister Wirecard seine Bilanzen fälschte. Rund 1,9 Milliarden Euro hatte der Konzern ausgewiesen, die sich als Luftbuchungen herausstellten. Sie hatten der Financial Times bereits Jahre vor Auffliegen des Skandals einen Tip gegeben und auf sinkende Kurse von Wirecard gesetzt. Sind Leerverkäufer die besseren Finanzaufseher?

Hundertprozentig. Leerverkäufer müssen die Fakten checken, bevor sie ihre Vorwürfe veröffentlichen. Bevor wir die Öffentlichkeit suchten, ermutigten wir alle Kontrollinstanzen, den Betrugsvorwürfen bei Wirecard nachzugehen. Unsere Dokumente müssen sehr strenge Regeln durchlaufen.

Liegen wir richtig, und können wir es beweisen? Wo ist die Quelle? Wir überprüften die Informationen aus öffentlich zugänglichen Dokumenten.

Das bedeutet, dass die Aufsichtsbehörden geschlafen haben.

Wie kommen Sie an die Informationen über Betrug und wie Unternehmen ihre Bilanzen fälschen?

Üblicherweise durch Diskussionen mit anderen Leuten. So war es 2015.

Jemand kam zu mir und sagte: »Hast du dir Wirecard angesehen?« Ich sagte: »Nein, ich habe bisher kaum von dem Unternehmen gehört.« Mein Informant sagte: »Die schrauben immer ihre Zahlen nach oben.« Und so versuchten wir so viele Informationen wie möglich über die Angebereien herauszufinden, die Wirecard in ihren Börsenberichten veröffentlichte. Das Unternehmen gab an, viele neue Verträge abgeschlossen zu haben. Aber wenn man genau hinsah, fielen die Geschäfte viel kleiner aus, als sie es vorgaben. Die meisten Betrügereien verlaufen nach einem stereotypen Muster von Übertreibungen. Sie seien besser als ihre Konkurrenten. Wirecard gab an, sogar während der Covid-19-Krise die Profite zu steigern, während alle anderen Bezahldienstleister sagten, dass ihre Umsätze zurückgegangen seien. Während des Shutdowns gingen weniger Menschen einkaufen, der Handel wurde aufs Internet verlagert, und kontaktlose Zahlungsmethoden, wie sie Wirecard anbot, wurden seltener genutzt. Doch die Pandemie schien das Unternehmen überhaupt nicht zu beeinflussen.

Sie sorgten nicht nur bei Wirecard dafür, dass der große Bluff aufflog.

Derzeit wetten Sie auf sinkende Kurse beim deutschen Leasingunternehmen Grenke. Worum geht es?

Bei Grenke ist es dasselbe Problem: Deren Gewinnspannen lagen lange Zeit weit über denen der Konkurrenz. Wir haben alle Franchiseunternehmen von Grenke untersucht. Sie steigern Jahr für Jahr ihre Erträge, also brauchen sie Investitionsmöglichkeiten. Dasselbe bei Wirecard: Sie haben das Geschäft um das Fünffache ausgebaut. Wo ist das Bargeld hin? Das Schöne daran, ein Shortseller zu sein, ist, dass wir mit gesundem Menschenverstand handeln. Nehmen wir zwei Journalisten, beide verfügen über ähnliche Fähigkeiten, also wissen Sie, dass sie ungefähr dasselbe verdienen sollten. Aber plötzlich gibt es einen, der viel mehr als alle anderen verdient. Es ist keine komplizierte Wissenschaft. Man muss den zentralen Fragen nachgehen: Was geschieht hier? Wo ist die geheime Quelle?

Was läuft falsch auf dem deutschen Finanzmarkt?

Ich könnte zurückfragen, was läuft richtig in Deutschland? Es ist einfach. Ich habe viele deutsche Freunde. Es hat nichts mit Deutschland zu tun. Es ist ein Problem mit Betrug. Es ist absurd, zu denken, wir hätten Grenke ausgesucht. Der Grund ist, Grenke hat uns ausgesucht. Ich bin ein Leerverkäufer. Für mich macht es keinen Unterschied, in welchem Land der Welt die betreffende Firma sitzt. Wann immer eine Firma einen hohen Bargeldbestand hat und trotzdem den Eigenkapitalbestand erhöhen will, werde ich hellhörig. Es gibt diesen ganzen Abschaum und die betrügerischen Systeme, durch die kleine Geschäfte gekillt und ihnen Schulden aufgehalst werden. Dass es in Deutschland geschah, machte keinen Unterschied für mich. Das Gute ist doch, dass die deutschen Behörden aus dem Fall lernen und weiterentwickelt werden können. Die Mehrheit der Deutschen sind ehrliche Leute. Und dann gibt es da diese wenigen Betrüger.

So wie in vielen anderen Ländern auch. Ich arbeite gerade an einer anderen deutschen Firma und an einem Unternehmen aus England. Also, hege ich Vorurteile gegenüber englischen Firmen? Nein, ich behandele sie alle gleich.

Also lagen die Finanzbehörden im Tiefschlaf?

Ausschlaggebend ist, dass Deutschland angewiesen auf Selbstregulierung ist.

Die Behörden sehen im Fall Wirecard wirklich alt aus. Ich bin entsetzt, dass die Aufsichtsbehörde meine Menschenrechte verletzte und mich verklagte, weil ich richtig lag. Deutschland soll eines der am meisten entwickelten Länder der Welt sein. Für Ingenieure und Technologie mag das zutreffen, aber sie verfolgen Whistleblower – das ist es, was am Markt falsch läuft. Die Behörden hätten sagen müssen: Ihre Informationen sind relevant für uns, und danke dafür, dass Sie uns darauf aufmerksam gemacht haben.

Es ist sechs Wochen her, dass wir unsere Vorwürfe gegen Grenke öffentlich gemacht haben. Denken Sie wirklich, wir liegen falsch? Sie können alles überprüfen. Wir sind die einzigen Shortseller der Welt, die ihre Daten veröffentlichen. Sie können die lokalen Konten von Grenke überprüfen, die in den USA, Australien, Schweiz, Österreich, Singapur, Irland und Großbritannien vorhanden sind. So einfach ist unser Job, ein Unternehmen zu überprüfen. Warum ist kein Mitarbeiter der Finanzaufsicht zu den Banken gegangen und hat gesagt: Okay, wir haben ein paar Listen, auf denen steht, mit wem sie besser keine Geschäfte machen sollten. Das schließt Optionen auf Aktiengeschäfte ein, Betrug mit Kryptowährungen und andere faule Deals. Grenke machte also weiter, und wissen Sie, womit sich die Bafin herausredete? Genau wie bei Wirecard: Es habe sich zu dem Zeitpunkt, als wir sie verdächtigten, nicht um kriminelle Firmen gehandelt. Nennen Sie mir einen Kriminellen, der zu einer Bank geht und sagt: Hey, ich bin ein Betrüger und möchte bei Ihnen ein Konto eröffnen. Es ist absurd.

Kanzlerin Angela Merkel ging bei einem Staatsbesuch in China für Wirecard auf Werbetour. Hatte Wirecard also Rückendeckung von ganz oben?

Ich ermutige alle deutschen Investoren, sich eine Firma anzuschauen, und wenn deren Geschäft besser als das aller anderen Unternehmen läuft, misstrauisch zu werden. Wenn es Apple ist, verstehe ich das. Ungefähr die halbe Welt benutzt Apple-Produkte. Also wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Apple die Bilanzen fälscht? Gering. Aber es gibt auch Firmen wie Grenke und Wirecard. Ich rief bei der Bafin an und sagte: Mein Name ist Fraser Perring, und ich möchte Ihnen helfen, die Geldwäscheuntersuchungen bei Wirecard zu verfolgen. Wissen Sie, was diese dummen Idioten gesagt haben? Wir sind nicht interessiert an Betrug, sondern an Ihnen, Mr. Perring! Wie absurd! Es ist, als ob man einen Bankraub der Polizei meldet und dafür von den Behörden angeklagt wird!

Wie sieht das Alltagsleben eines Shortsellers aus? Sie haben früher als Sozialarbeiter gearbeitet. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ihrem damaligen und Ihrem heutigen Beruf? 

Oh ja, da gibt es viele Gemeinsamkeiten. Ich bin besser qualifiziert als die meisten Finanzanalysten. Denn ich habe gelebt. Viele spätere Finanzanalysten wachsen auf, gehen auf ein Eliteinternat, dann zur Universität, und Papi gibt ihnen schließlich einen Job bei einer Investmentbank. Sie haben keinerlei Lebenserfahrung. Nicht etwa wie Journalisten, die das Elend und das Schöne im Leben kennenlernen. Sie machen ihre Arbeit nicht, um reich zu werden. Ich war auch nicht als Sozialarbeiter tätig, um reich zu werden. Ich wollte die Welt verbessern.

Aber ich machte oft die Erfahrung, dass die Behörden Kinder in Familien gaben, bei denen nicht geprüft wurde, ob sie eine kriminelle Vergangenheit hatten, und so wurden die Kinder oft in Familien misshandelt. Mir wurde gesagt, falls ich Bedenken hätte, sollte ich eine eigens eingerichtete Whistleblower-Hotline anrufen. Wir werden Sie beschützen. Haha. Sie gaben mir damals einen Einführungskurs für Wirecard. Ich wurde unter Druck gesetzt, als ich Kritik äußerte. So wie in diesen Familien bei Sozialarbeitern geht es auf den Finanzmärkten zu. Sie müssen die Familienverhältnisse der Upperclass untersuchen. Der Stiefvater ist der Vorstandschef eines Konzerns, die Mutter ist Geschäftsführerin einer anderen Firma. Wenn die Familie lange im Geschäft ist und bessere Ergebnisse als alle anderen erzielt, muss man sich fragen, wie sie das gemacht haben. Die Ironie ist: 99 Prozent unserer Recherchen beginnen wir mit einfachen Suchanfragen bei Google: »Wirecard-Einnahmen«, »Wirecard-Betrug« – so einfach ist es. Es ist wie bei Sozialarbeitern – man achtet auf die Details. Es kommt auf das Ausmaß der Recherche an.

Ich ermutige jeden Investor, wenn er eine Aktie kauft, sollte er sich die Firmenkonten genau ansehen, und wenn er es nicht versteht, jemanden fragen, der sich damit auskennt – aber sicher nicht die Deutsche-Bank-Tochter DWS, die haben sogar noch Wirecard-Aktien gekauft, als der Laden zusammenbrach.

Sie sehen sich als Sozialarbeiter des Finanzmarkts. Aber wie steht es um die Familien der Mitarbeiter, die arbeitslos geworden sind, weil Sie gegen das Unternehmen gewettet haben?

Es ist nicht mein Fehler. Es sind die Typen, die betrogen haben. Sie können nicht denjenigen, der den Betrug aufgedeckt hat, dafür verantwortlich machen, dass die Arbeiter des Unternehmens ihren Job verlieren. Es ist absurd, mich dafür verantwortlich zu machen, weil ich meinen Job machte, die Behörden warnte und dafür verfolgt wurde. Ich möchte niemanden verletzen. Was ist mit all den Whistleblowern und früheren Angestellten, die versuchten, die Wahrheit ans Licht zu bringen?

Wirecard hat sie fertiggemacht. Jeder, der ein Problem offen ansprach, bei Wirecard kündigte und bei einem anderen Unternehmen anfing, erhielt zwei oder drei Wochen später ein Schreiben des Vorstands, in dem stand: Wenn wir Sie beschäftigen, kriegen wir Ärger mit Wirecard.

Ganz selbstlos ist Ihre Arbeit allerdings nicht. Sie erzielen hohe Profite, wenn die Firmen pleite gehen … 

Ich mache Profite, weil die Firmen betrügen. Ist das falsch? Jeder Analyst da draußen schrieb lange Berichte für seine Klienten, in denen er empfahl, Wirecard-Aktien zu kaufen: Commerzbank, Bank of America, Deutsche Bank. Gott, die Liste ist endlos. Sie sagten, Wirecard ist großartig, das Preisziel ist der Mond. Wieviel Geld haben die gemacht? Ich schätze mal, weitaus mehr als ich. Geben sie die Gebühren an ihre Kunden zurück?

Ich schätze nicht … 

Exakt. Die Analysten müssten ihren Kunden nämlich mitteilen: Es tut uns leid, aber ihre Wirecard-Aktie steht nur noch bei 74 Cent. Nicht Euro, nein, Cent. Sie haben alles verloren. Die Leute, die mir wirklich leid tun und bei denen sich die Bafin nicht entschuldigt hat, sind diejenigen, die Wirecard-Aktien gekauft haben, nachdem die Bafin ein Leerverkaufsverbot für Wirecard verhängt und erklärt hatte: Keine Sorge, die Vorwürfe sind manipulativ, Wirecard ist eine großartige Firma, blablabla. Ich habe mit einer 78jährigen Frau gesprochen, die daraufhin 700.000 Euro in Wirecard investierte, weil sie glaubte, das Unternehmen sei sauber.

Was ist die Ursache des Problems? Ist nicht einfach viel zuviel Geld auf den Finanzmärkten vorhanden? 

Ja, Geld ist Betrug. Die Zentralbanken werfen derzeit nur so mit Geld um sich. Sie reden von Inflation. Dazu wird es nicht kommen, denn es ist so viel Geld da draußen, dass die Hälfte davon gefälscht sein könnte. Aber unter diesen Umständen ist es schwerer, einen Konzern zu shorten. Denn die Leute geben einen Scheiß auf unsere Vorwürfe. Kürzlich habe ich auf Twitter gelesen, Grenke habe nur in Höhe von 300 oder 400 Millionen Euro die Bilanz gefälscht. Das sei nicht das Ende der Welt. Nur 300 bis 400 Millionen Euro? Das muss man sich vor Augen führen. Die Bafin antwortete mir auf meine Vorwürfe bei Wirecard, ich hätte zwar recht, aber es handle sich um Marktmanipulation. Wie kann das sein? Wenn viel Geld im Umlauf ist, haben es Betrüger einfacher.

Was Wirecard gemacht hat? Sie verkauften ihren kontaktlosen Bezahldienst an eine Nudelbar in Singapur. Ich meine, wollen die mich verarschen? Der Marktpreis von Wirecard belief sich zu dem Zeitpunkt auf 24 Milliarden Euro. Wirecard gab an, mit Uber zu kooperieren. Ich fragte bei Uber nach, und sie fragten: Wirecard, wer ist das? Jeder in Deutschland hätte meine Arbeit machen können. Schließlich sah die Sache ja ein wenig nach Betrug aus.

Ein wenig?

Jedenfalls machte ich die Nudelbar in Singapur ausfindig. Als Wirecard ankündigte, sie hätten einen exklusiven Vertrag in Singapur unterzeichnet, schnellte die Aktie um sechs Prozent in die Höhe. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, Geld ist Betrug, aber trotzdem wollen sie es vermehren.

Wer steht als nächstes auf Ihrem Speiseplan? Welche Firma hat ihre Bilanzen aufgehübscht? Von besonderem Interesse ist natürlich der deutsche Markt.

Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Ach, kommen Sie schon.

Damit Sie sich eine Vorstellung machen können: Die Auseinandersetzung mit Grenke hat uns bis jetzt Hunderttausende Euro gekostet. Wir nehmen das ganze Risiko auf uns, wenn wir unsere Vorwürfe öffentlich machen. Aber das kann auch jeder andere machen. Googeln sie: »ctp british columbia«, und sie finden heraus, dass jemand viel Geld gemacht hat – aber es waren nicht die Investoren. Finden Sie selbst heraus, was nicht stimmt. Stellen Sie sich vor das Geschäft und zählen Sie, wie viele Leute rein und rausgehen.

Warum gibt es keinen erfolgreichen Leerverkäufer in Deutschland, der Ihre Arbeit gemacht hat?

Offensichtlich können sie beim Schreiben für ein Kursziel von 24 Milliarden Euro mehr verdienen als beim Schreiben für ein Kursziel von null. Ich frage mich: Warum spricht man in Deutschland von Short-Attacken?

Das setzt voraus, es handele sich um Opfer. Aber wer ist das Opfer, bei einer Firma, die betrügt? Und wer ist der Täter? Es ist nicht der Leerverkäufer. Habe ich Wolfgang Grenkes Freundin 100 Millionen Euro gegeben? Nein. Er war das. Habe ich der Grenke AG zahlreiche wertlose Franchiseunternehmen aufgehalst? Nein, sie waren das selbst. Die Manager lieben das Wort Attacke, weil es bedeutet, dass sie die Opfer sind. Sie sind es aber nicht. Sie sind die Täter. Ich ging nicht zu Wolfgang Grenke und sagte ihm, ich kenne ein paar Investoren, denen wir wertlose Franchiseunternehmen aufschwatzen können. Sie machten es allerdings 32mal.

Welche Folgen hatte die Auseinandersetzung für Sie?

Auf dem Höhepunkt des Wirecard-Skandals war ich mit 13 Millionen Euro im Minus. Die Firma ließ am Tag 1.300 Leute auf mich los. Jeder lachte über mich. Aber ich wusste, dass ich recht hatte. Die Behörden ermöglichten es. Sie beschützten die Firma. Es ist absurd, zu denken, die deutschen Behörden seien so blind, zu glauben, es handele sich um eine angelsächsische Attacke. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich Engländer bin, es handelte sich um verdammten Betrug.

Junge Welt 31.10.2020