Punch

„Eigentlich wollte ich heute dies und das vom Tag erzählen. Vom mittelmäßig geglückten Versuch auf den Women‘s March zu gehen, vom mittelmäßig gescheiterten Versuch, meine Familie dahin mitzuschleppen, und warum ich lieber Gang als Familie sage, obwohl wir für eine Gang zu unterschiedliche Interessen haben.

Jetzt sitze ich auf dem Sofa – alles schläft, einsam wacht – und trage ein Rauschen in den Ohren wie bei richtig dick Stress. Es fühlt sich an, als könnte es kippen, in Pfeifen oder in verschwommene Stille, ich beobachte es angespannt und zucke bei jedem Rumpeln im Haus zusammen.

Eigentlich. Eigentlich geht mir etwas anderes durch den Kopf. Ein rechtsoffener Mainstream-Kolumnist schreibt einen Text und die Headline ist „Nazis rein“. Ich komm nicht darauf klar. Das ist so übel, ich weiß gar nicht, wo anfangen. Like, weiß er, was Nazis sind, wollen, tun? Like, wie könnte er es nicht wissen? Selbst, wenn er edgy sein will, mal so richtig provokativ dagegen brettern, dass in letzter Zeit ein paar mehr Menschen aus der Journo-Blase „Nazis raus“ gesagt haben – wie kann man das schreiben. Wie kann man es vor sich selbst verantworten, sowas geschrieben zu haben, diese Buchstaben in dieser Kombination nebeneinandergesetzt zu haben. Und wenn er es ernst gemeint hat, im Sinne von: niemanden ausgrenzen wollen, auch Nazis nicht, in der Gesellschaft für alle einen Platz haben – wie naiv, wie ignorant kann man sein? Ich check es nicht.

Tolerant sein gegen Intoleranz, um selbst nicht intolerant zu sein: it just doesnt work. Ich meine, wie ausgelutscht ist das: Das hat mich beschäftigt, als ich so 12 war. Eine etwas verschwommene, aber gut verortete Erinnerung, wie Mama und ich bei einer Gothic-Disco waren, im Kulturcafé in Mainz wahrscheinlich, und wie ich, auf dem Weg zurück zum Auto mich sehr random genau das gefragt habe. Darf man / soll man / kann man tolerant gegenüber Intoleranz sein. Ich weiß, dass ich damals auf keine klare Antwort gekommen bin; in der Schule war Kant vielleicht schon ein Thema, vielleicht noch nicht (Popper jedenfalls nie), und ich hing noch mit einem Bein im absoluten Schwarzweißdenken vom Kindsein, konnte nur Entweder-oders.

Ein bisschen später veränderte sich das. Ich merkte, dass ich nicht mehr so spielen konnte wie vorher, mit Playmobilfiguren, mit Barbies, mit was auch immer. Ich wusste plötzlich vorher schon, was ich im Spiel sagen würde und damit war das Spielerische verloren. Gleichzeitig die Erkenntnis gewonnen: ok, wow, ich kann es noch nicht ganz greifen, aber ich verstehe jetzt komplexere Gedankengänge. Kann Verständnis haben für Lebensrealitäten von anderen, die nicht meine sind, kann sie annehmen als für andere wichtig und richtig (zum Beispiel Religion). Und ich kann zwei widersprüchlich scheinende Wahrheiten gleichzeitig als wahr sehen und annehmen. Zum Beispiel: dass tolerant sein und Platz für alle haben wollen, gleichzeitig bedeutet (bedeuten kann, bedeuten muss) intolerant gegen einige zu sein, nämlich gegen die, die für Schwache, Andersdenkende, Andersaussehende keinen Platz haben wollen. Und keinen Platz haben wollen, heißt aus Perspektive von Nazis halt sehr konkret: Menschen, die nicht ihrem Weltbild entsprechen, töten. Das ist kein Scherz. Zu sagen „Nazis rein“ ist keine  folgenlose Gedankenspielerei.

(Ich muss an ein Plakat denken, dass ich in der Damenwahl-Ausstellung im Historischen Museum gesehen habe. Eines, das in der Weimarer Republik vor der Gefahr der Nazis warnte und und als Beispiel nannte, dass Nazis in eine Gruppe spielender Kinder schossen.)

Nazis raus, bitte. Aus der Gesellschaft. Geächtet, raus aus Funktionen, aus Behörden, aus dem Betrieb, aus sozialen Netzwerken, aus der Uni, aus der Öffentlichkeit. Kein Fußbreit. Dass wir darüber überhaupt reden müssen. Dass jemand „Nazis rein“ schreiben kann, dass jemand das liest und sagt, ist okay, drucken wir so. Selbst wenn Fleischhauer die Headline nicht selbst geschrieben hätte, aber in dem Fall trau ich ihm das zu, ist ja elemtentarer Teil seiner These – ich meine, dass niemand ihn geohrfeigt hat, stattdessen? Dass niemand die Person geohrfeigt hat, die das durchgehen ließ?

Wenn von Nazis geführte Feindeslisten mit Privatadressen sichergestellt werden, wenn Polizist_innen unter dem Namen NSU 2.0 drohen, die Tocher einer Anwältin zu töten, die NSU-Opfer vertreten hat. Wenn Rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Bundeswehr sich auf einen Tag X vorbereiten. Unter anderem.

Man kann Nazis nicht als Nazis in die Gesellschaft integrieren und sie damit entnazifizieren. Der Versuch der „Reeducation“ von Seiten der USA hat auch damit zu tun, wie wenige Erwachsene ohne Nazi-Verstrickungen zum Wiederaufbau, für Ämter und Co übrig waren. Das Ergebnis davon kann man unter anderem an der Verfasstheit des Verassungsschutzes sehen (oder dass die Tochter Heinrich Himmlers in den sechziger Jahren für den BND gearbeitet hat). Gut möglich, dass Nazis sich ändern können, wenn sie das wollen, aber halt nicht, wenn man sie als Nazis akzeptiert und ihnen mit ihrer menschenfeindlichen Weltanschauung in der Gesellschaft einen gemütlichen Platz einräumt. Punch a nazi if you can, mit Nettigkeiten kommen wir da nicht weiter. Als hätte man nicht schon auf die allerallerallerschlimmste Art und Weise gesehen, wohin es führt, Nazis zu unterschätzen, zu billigen, zu Macht zu verhelfen.

Und dann könnte man natürlich sagen: Alles Kalkül, dass wer so was schreibt und damit auf Klickzahlen wie auf Empörung hofft. Aber es ignorieren, weil von ihm ja nichts anderes zu erwarten war? I just can‘t. Ich bin nicht bereit, den rassistischen Normalzustand als normal zu akzeptieren. Ich will weder akzeptieren, noch tolerieren, im Spiegel oder sonstwo 2019 „Nazis rein“ zu lesen.“

Anmerkung 1: Den Artikel im ehemaligen Nachrichtenmagazin haben die ehemaligen Journalistinnen und Journalisten hinter einer Bezahlschranke versteckt. Den können nur Abonnentinnen und Abonnenten lesen. Selber schuld.

Anmerkung 2: Die Ohrfeige

ms

Quelle: https://vonhorst.net/2019/01/20/19-1/

(via Mr. Reader)